Was genau ist Einsamkeit?
Einsamkeit – das ist doch klar: da ist man alleine und fühlt sich schlecht. Ist das alles? Einsamkeit hat viele Facetten.
In der Psychologie wird Einsamkeit als die wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlich vorhandenen Beziehungen bezeichnet. Es ist ein subjektives Gefühl, das häufig mit traurigen bis hin depressiven Gefühlen verbunden ist und sich darin nachhaltig vom Gefühl des Alleinseins unterscheidet. Es ist quasi eine Statusanalyse, bei der man beispielsweise feststellt, dass man sich gerne jemanden anvertrauen möchte, aber niemanden zum Reden hat
Alleinsein beschreibt stattdessen den objektiven Zustand, dass man keine Menschen um sich hat. Viele Menschen geniessen das Alleinsein, ohne sich einsam zu fühlen, und nicht wenigen reicht es einen guten Freund zu haben.
Emotionale vs. soziale Einsamkeit
Wenn mir ein enger Partner oder beste Freundin fehlt, spricht man von emotionaler Einsamkeit. Dieses Gefühl kann sich auch dann einstellen, wenn ich ein grosses Netzwerk an Freunden und Bekannten habe, aber ich eine emotionale Lücke spüre: trotz der vielen Menschen ist da niemand, dem ich mich anvertrauen kann oder mag.
Soziale Einsamkeit beschreibt dagegen das Fehlen eines tragfähigen Freundes- und Bekanntenkreises. Diese Form der Einsamkeit kann man auch erleben, wenn man in einer Partnerschaft lebt.
Allein heisst nicht unbedingt einsam
Abraham Maslow, Mitbegründer der humanistischen Psychologie, beschrieb in seiner Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse, dass das Streben nach Alleinzeiten als Teil der Selbstverwirklichung mit an der Spitze seiner Bedürfnis-Pyramide steht. Man ist also nicht zwangsläufig einsam, wenn man alleine ist – selbst dann nicht, wenn man diesen Zustand oft und gerne aufsucht. Ich selbst mag es sehr ab und an für eine gewisse Zeit für mich zu sein – um mich zu erholen und inne zu halten, mich konzentriert auf etwas einzulassen, Aufgaben in meinem Rhythmus zu tun oder um mich dem sozialen Druck einer Gruppe zu entziehen. Viele Studien weisen nach, dass Alleinsein heilsam sein kann, insbesondere wenn wir uns in die Natur zurückziehen.
Alleinzeiten können der Schlüssel für funktionierende Beziehungen sein. In diesen Stunden können negative Gedanken und Glaubenssätze in Ruhe überprüft und so verändert werden, dass ein unbefangenes, positives Interagieren mit anderen Menschen möglich wird.
Der US-amerikanischen Professor für Psychologie Kenneth Rubin hat untersucht, was es braucht, damit ich die Zeit, die ich mit mir alleine verbringe als nützlich und lohnenswert empfinde:
- Ich bin freiwillig alleine.
- Wenn ich mag, kann ich mich einer sozialen Gruppe anschlie
- Ich kann meine Gefühle, wie beispielsweise Angst oder Ärger, erfolgreich kontrollieren.
- Ich weiss, wie ich positive und unterstützende Beziehungen mit wichtigen, mir nahestehenden Personen initiieren und aufrechterhalten kann.
Ist dies nicht der Fall, fühle ich mich einsam, denn ich habe das Gefühl ohnmächtig dem Alleinsein ausgeliefert zu sein. Kann ich keinen Einfluss auf meine Situation nehmen, fühle ich mich schnell ausgegrenzt, abgelehnt und traurig. Diese Gefühle stellen sich weniger ein, wenn ich mich trotz des Alleinseins einer grösseren Gruppe zugehörig fühle.
John T. Cacioppo, der kürzlich verstorbene, bekannte Einsamkeitsforscher hat mit seinen Kollegen an den Universitäten von Ohio und Chicago viel zum Ursprung und Auswirkungen von Einsamkeit erforscht. Die Ergebnisse seiner Arbeiten zeigen, dass Einsamkeit nicht automatisch aus dem Alleinsein entsteht. Jedoch kann das Alleinsein eine Spätfolge von Einsamkeit sein und diese verstärken.
Einsam unter Menschen
Anhaltende Einsamkeit kann selbst kontaktfreudige Person treffen. «Teil von etwas zu sein», wie beispielsweise in einer Paarbeziehung oder Clique, schliesst nicht zwangsläufig aus, dass man sich zugehörig und gut aufgehoben fühlt. Zwar gelten Verheiratete statistisch gesehen als weniger einsam als Ungebundene, aber eine Garantie gegen Einsamkeit bietet kein Ehegelübde. Fühlt man sich mit dem anderen nicht verbunden oder fehlen Aufmerksamkeit und Wertschätzung kann eine Beziehung das Gefühl der inneren Verlassenheit mehr verschlimmern, als wenn man ohne Partner wäre. Denn im Unterschied zu einem Single ist man oftmals limitiert, was das Knüpfen von anderen, neuen – selbst platonischen – Verbindungen betrifft.
Einsame Phasen kommen und gegen – meistens jedenfalls
Sich hin und wieder einsam und von aller Welt verlassen zu fühlen, ist normal. Wir erleben immer wieder vorübergehende Phasen von Einsamkeit. Meistens gehen sie Hand in Hand mit schwierigen Übergangsphasen, die jeder von uns erlebt. Ich habe das zum ersten Mal erlebt als ich nach dem Abitur nach Frankreich ging, um dort als Au-pair zu arbeiten. Statt Savoir-Vivre war in den ersten Monaten eher Katzenjammer angesagt. Ähnliches habe ich bei Berufswechsel, Umzügen oder Trennungen erlebt. Doch irgendwann ebbt der Schmerz ab und nach einer Phase des Rückzugs, lugt man vorsichtig wieder raus in die Welt und verlässt seinen Kokon.
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