Nicht alles kommentieren
von Lena Karger, erschienen in «Die Welt» am 29. Dezember 2022
Manchmal können Mitmenschen die sprichwörtliche Hölle sein. In Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“ ist es der Wunsch, sich anerkannt, beachtet, geliebt und respektiert zu wissen, der das Miteinander zur existenziellen Herausforderung macht. Hegen wir zu oft falsche Erwartungen an unsere Mitmenschen?
WELT: Frau Weinig, was macht einen Menschen schwierig?
Silke Weinig: Es gibt verschiedene Persönlichkeitstypen und Eigenschaften, die man als schwierig bezeichnen kann. Dazu gehören etwa Menschen, die ständig patzig sind, Choleriker und Besserwisser. Aber auch sogenannte Märtyrer, die sich aufopfern und dann stillschweigend eine Gegenleistung verlangen.
WELT: Mit manchen dieser Menschen muss man sich auseinandersetzen, weil sie zur Familie oder dem direkten Arbeitsumfeld gehören. Wie geht man zum Beispiel mit einem Choleriker um?
Weinig: Ich sage immer, Choleriker sind die weniger schwierigen. Es kommt natürlich darauf an, wie nah einem die Person steht oder ob es ein Arbeitskollege ist. Man muss abwägen, ob man sich aus der Situation rausnehmen und denjenigen einfach rumpoltern lassen kann, ohne darauf einzugehen. Man sollte dann einfach sagen „Ich komme wieder, wenn du dich beruhigt hast“, oder „Ich lasse gerne mit mir sprechen, aber nicht in diesem Ton“. Was dem Chef gegenüber genauso legitim ist wie einem Familienmitglied.
Dann sollte man versuchen, die Situation in einem ruhigeren Moment anzusprechen und nicht in den Vorwurfsmodus zu geraten. Vor allem das Wort „immer“ kann ein Trigger sein, der es nur schlimmer macht. „Du bist immer so und so…“. Stattdessen kann man sagen: Beim Frühstück warst du sehr aufgebracht. Du hast über das Essen geschimpft. Mich hat das erschrocken und ich fühle mich damit nicht wohl. Das ist ein Vorgehen nach der sogenannten „SAG ES“-Formel. Als Erstes sollte der Sachverhalt geschildert, die Auswirkung benannt und dann erst die Gefühle kommen. Dann kann man die Empfindungen des anderen einholen und im besten Fall eine Schlussfolgerung ziehen: Was können wir daraus verändern? Und auch wichtig: Niemals voreilig mit Konsequenzen drohen, wie „ich kündige“ oder „ich verlasse dich“. Man muss es durchziehen, sonst wird man unglaubwürdig.
WELT: Sie haben am Anfang auch Märtyrer erwähnt, wen meinen Sie damit?
Weinig: Das können Menschen mit Helfersyndrom sein, die im Gegenüber ein Pflichtgefühl auslösen. Oder Leute, die schnell weinen und einem Zugeständnisse abverlangen, die man sonst nicht machen würde. Es gibt Menschen, die versuchen, einen mit Mitleid in die Knie zu zwingen. Je subtiler sie das machen, desto schwieriger ist es. Dann muss man sich erstmal selber zugestehen, dass es legitim ist, sich von diesen Menschen gestört zu fühlen.
Auch hier gilt, so sachlich wie möglich zu sein und nicht auf das Geweine einzugehen. Man kann dann einfach sagen: „Hier brauchst du ein Tempo?“, oder „Wenn du zu Ende geweint hast, können wir weiterreden.“ Das mag hart klingen, aber es ist Selbstschutz.
WELT: Was ist, wenn mein Gegenüber nicht offensichtlich schwierig ist, sondern eher passiv-aggressiv, ein leises Sticheln?
Weinig: Das kommt gerne bei Familientreffen vor. Etwa die typischen Sticheleien, wenn man schon wieder keinen Partner hat. Aber auch anderen unpassend intime Fragen, wie, warum man denn keine Kinder hat. Wichtig ist hier, sich die Antworten vorher zu überlegen. In der Situation selbst fühlt man sich oft zu überfordert und die richtige Antwort fällt einem nicht ein. Man könnte also einfach sagen: „Ich möchte das Fest geniessen und nicht im Strafgericht sein.“ Oder auch einfach sagen: „Die Frage ist mir zu intim, so gut kennen wir uns nicht.“
Eine gute Taktik ist auch, den anderen durch ein Paradox zu überrumpeln. Ich gebe auch gerne den Tipp, einfach mit Sprichwörtern zu antworten, um den anderen zu verwirren. Wenn man also das nächste Mal gefragt wird, warum man noch keinen Freund hat, einfach mal sagen „Viele Köche verderben den Brei“. Und wenn dann nochmal nachgefragt wird „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“. Meistens lassen sie dann ab und man hat noch seinen Spass dabei.
WELT: Was ist mit Besserwissern und Rechthabern?
Weinig: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, es wirklich mal genau wissen zu wollen und wie ein Kind, immer weiter nachzufragen: Und warum ist das so? Und warum, und warum? Die meisten kommen dann schnell an ihr Ende. Oder man versucht es mit Bauchpinseln und sagt dem anderen, wie schlau er ist und wechselt das Thema.
Themenwechsel ist übrigens auch bei Paranoiden und Verschwörungstheoretikern wichtig. Die Devise lautet: Reden lassen und nicht reagieren. Hier bringen Gegenargumente und Gegenstudien nichts. Falls man die Person mag, sollte man das lieber lassen.
WELT: Viele von diesen Tipps klingen passiv und deeskalierend. Aber es gibt doch auch Menschen, gegen die man sich behaupten will.
Weinig: Das werde ich oft gefragt: Ich werde beleidigt und nun muss ich mich bemühen? Ja, ich mache das ja für mich. Das ist wie mit dem Verzeihen. Da geht es nicht in erster Linie um die andere Person, sondern um mich. Wenn ich verzeihe, geht es MIR besser, weil es mich nicht mehr quält. Es wirkt komisch, dass ich die Arbeit habe, die Psychohygiene zu machen. Aber für mich bringt das Ruhe und Zufriedenheit. Wenn ich anfange, an eine schwierige Person mit einer Strategie ranzugehen, erweitert es meinen Handlungsspielraum. Es befreit mich. Das wirkt als würde man dem anderen einen Gefallen tun. Nein, den Gefallen tun wir uns.
WELT: Das heisst, wir müssen uns nach einem Streitgespräch nie mehr ärgern, wenn uns plötzlich die passende Antwort einfällt? Weil die wahrscheinlich eh emotional, eskalierend und nicht hilfreich gewesen wäre?
Weinig: Genau. Oft sagen meine Kunden auch, sie seien gerne schlagfertig. Dabei ist das meistens überhaupt nicht hilfreich. Das läuft ja nicht wie: Schlag und Fertig. Vor allem bei einer Diva oder einem Choleriker gibt das erst richtig Zunder. Bei weinerlichen Menschen sorgt es dafür, dass sie noch mehr weinen. Man muss nicht alles kommentieren. Wir haben Körpersprache, die genug erzählt. Das Nichtsprechen ist manchmal heilsamer. Ich möchte eine Lanze brechen für das Schweigen. Die Introvertierten ärgern sich immer, dass sie still bleiben. Nein, gar kein Problem! Manchmal kann man mit Schweigen mehr sagen.
WELT: Aber manchmal wäre eine passende Antwort schon schön. Haben Sie einen Tipp?
Weinig: Ja, das kann man ganz einfach beim Krimi gucken lernen. Wenn Verdächtige verhört werden, sind die meistens patzig. Da einfach mal überlegen, was man ihm erwidern würde. Wie könnte ich als Kommissarin reagieren, um denjenigen zum Sprechen zu bringen? Unser Gehirn kann nicht unterscheiden, ob etwas wirklich passiert, oder ich es mir ausdenke. Mir die Repliken aufzuschreiben und durchzulesen, trainiert das Gehirn. So kann man Schlagfertigkeit üben.
Vielleicht interessieren Sie auch folgende Texte:
Warum ist Ehrlichkeit in einer Beziehung so wichtig?: Viele verstehen unter Ehrlichkeit nur die Abwesenheit von Lügen. Ehrlichkeit beinhaltet aber weit mehr.
SAG ES: Feedback zu geben ist eine Kunst. Die „SAG ES“-Formel kann dabei helfen.
Wieso mehr Empathie gut für uns ist!: Wie Empathie unserer Gesundheit gut tut und im Umgang mit schwierigen Menschen hilft!