Bringt es etwas (immer) nett zu sein?
Die Eigenschaft „nett“ zu sein, übersetzt sich in der Persönlichkeitspsychologie in das Merkmal der Verträglichkeit. In einer neuen Studie, die auf den Daten von mehr als 1,9 Millionen Menschen basiert, scheint Verträglichkeit acht wichtige Vorteile zu haben.
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, ob man zu nett sein kann? Ist es nicht manchmal besser ein wenig kratzbürstig zu sein, um nicht ausgenutzt zu werden? In der Psychologie übersetzt sich die Qualität der Nettigkeit in das Merkmal der Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie). Sie ist eine Dimension der sogenannten Big Five der Persönlichkeit. Die vier weiteren Hauptdimensionen der Persönlichkeit sind Offenheit für Erfahrungen (Aufgeschlossenheit), Gewissenhaftigkeit (Perfektionismus), Extraversion (Geselligkeit; Extravertiertheit) und Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Michael Wilmot von der University of Arkansas und Deniz Ones von der University of Minnesota Twin Cities definieren Verträglichkeit als das Persönlichkeitsmerkmal, das sich in erster Linie darum kümmert, anderen zu helfen und positive Beziehungen aufzubauen. Obwohl diese Definition ziemlich klar erscheint, ist aus früheren Forschungen weniger offensichtlich, ob Verträglichkeit einfach das Gegenteil der Dunklen Triade ist (= Narzissmus, Machiavellismus und Soziopathie) oder ob sie als einzigartige Gruppe von Attributen für sich alleinsteht.
Acht Vorteile der Verträglichkeit
Um mehr über die Verträglichkeit zu erfahren, analyserieten Wilmot und Deniz Aussagen von rund 1,9 Millionen Personen in mehr als 3.900 Studien. Dabei erstellten sie zu Beginn ihrer Studie ein hierarchisches Modell, das auch Subdomänen integriert. In diesem Modell unterteilt sich Verträglichkeit in drei Unterfacetten: Vertrauen, Mitgefühl und Höflichkeit. Mitgefühl wiederum teilt sich in Höflichkeit und Zärtlichkeit (= sanft zu anderen sein) auf. Höflichkeit ist unterteilt in Kooperativität, Geradlinigkeit und Bescheidenheit.
Das Ergebnis der Analyse lässt sich in acht Aussagen zusammenfassen:
- Selbsttranszendenz: Wunsch, als Person zu wachsen, Motivation, sich um andere zu kümmern und Orientierung an spirituellen und religiösen Praktiken oder „eine Verbindung mit dem, was jenseits liegt“.
- Zufriedenheit: Akzeptanz des Lebens, wie es ist, und die Fähigkeit, sich an alles anzupassen, was im Leben passiert.
- Relationale Investitionen: Motiviert sein, gute Beziehungen zu anderen zu haben und zu pflegen.
- Teamarbeit: Empathische Fähigkeit, Ziele mit anderen zu koordinieren sowie unabhängig von der Rolle Gruppenziele erreichen zu wollen.
- Arbeitsinvestition: Bereit sein, die Ärmel hochzukrempeln und Dinge zu erledigen.
- Geringere Ergebnisbetonung: Eine Tendenz, nachsichtig gegenüber anderen zu sein und weniger Fokus darauf zu legen, derjenige zu sein, der eine Aufgabe erledigen muss.
- Soziale Normorientierung: Vermeidung von Regelverstössen und sozialerwartungsgemässem Verhalten.
- Soziale Integration: Bessere Integration in die Gesellschaft und Vermeidung antisozialer Verhaltensweisen; eine Tendenz, länger im eigenen Job zu bleiben, anstatt ständig zu gehen und einen neuen zu finden.
Neben acht direkten Vorteilen die Verträglichkeit mit sich bringt, konnten die Forscher weitere Folgevariablen nachweisen, wie zum Beispiel bessere zwischenmenschliche Einstellungen, geringere Neigung zum Hinterhältigen, bessere Leistung insgesamt und niedrigere Merkmale bei der Dunklen Triade.
Was es auch bedeutet, nett(er) zu sein
Die Autoren verweisen auch darauf, dass sehr angenehme Menschen zuweilen nicht durchsetzungsfähig sein können. Sie werden von manchen übersehen oder überrollt, kommen teilweise beruflich nicht weiter, weil sie nicht gerne im Rampenlicht stehen und können wegen ihrem Mangel an Dominanz leicht in emotionale und/oder finanzielle Abhängigkeiten geraten.
Wenngleich es diese möglichen Nachteile gibt, scheinen diese laut den Autoren gegenüber den Vorteilen von Verträglichkeit zu verblassen. In der Tat ist ein anderer Begriff für Verträglichkeit, so Wilmot und Ones, „Liebe“. Um den Apostel Paulus zu zitieren: „Die Liebe versagt nie“ (1. Kor. 13:8). Mit anderen Worten, obwohl eine Person „zu“ nett sein mag, wird sie am Ende mehr von dieser Eigenschaft profitieren als jemand, der egoistisch, unhöflich oder respektlos durchs Leben geht.
Studie
Wilmot, M. P., & Ones, D. S. (2022). Agreeableness and its consequences: A quantitative review of meta-analytic findings. Personality and Social Psychology Review, 26(3), 242–280. https://doi.org /10.1177/10888683211073007
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