Warum es die Trauer braucht, um mit ihr klarzukommen

Warum es die Trauer braucht, um mit ihr klarzukommen

Warum es die Trauer braucht, um mit ihr klarzukommen

Warum es die Trauer braucht, um mit ihr klarzukommen

Wir haben die Fähigkeit, uns von Tod, Verlust, Traumata und menschlichem Schmerz zu erholen. Dabei ist die Trauer selbst der Schlüssel dazu. Drei bekannte Trauermodelle auf dem Prüfstein!

Was ist der Sinn der Trauer? Sie kann Verlorenes nicht zurückbringen und so Linderung verschaffen. Zu trauern bedeutet, sich vom Verlust zu erholen, um sich wieder dem Leben zuwenden zu können. Dieser Prozess ist ein hartes Stück Arbeit, findet keine Vergleiche und unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Der Tod ist ein erschütterndes Trauma. Ein Ereignis, das die Zeit in Vorher und Nachher einteilt und nicht einfach nur ein neues Kapitel in unserem Leben aufschlägt, sondern das bisherige Buch in die Ecke wirft und uns ungefragt einfach ein neues Buch in die Hand drückt.

In dem neuen Buch ist der geliebte Mensch tot und fort, und wir sind allein. Diese neuen Kapitel stehen im Widerspruch zu den alten, tief verwurzelten Seiten unseres bisherigen gemeinsamen Lebens, in dem wir eine intakte Verbundenheit lebten. Der Tod kommt in unserem neuronalen Netzwerk noch nicht vor, weshalb wir Probleme haben, die neue, ungewollte Situation in unser Bewusstsein zu bringen. Die alten Netzwerke sind mächtig, das neue will ich nicht.

Nichts ist mehr wie zuvor

Dieser traumatische Verlust ist dem Phänomen des Phantomschmerzes ähnlich. Obwohl der Arm des Amputierten nicht mehr da ist, spürt er ihn aufgrund der aktivierten Netzwerke im Kortex seines Bewusstseins weiter. Wir mögen kognitiv wissen, dass unser Geliebter gestorben ist, aber unser gemeinsames Leben findet in unserem Bewusstsein durch noch vorhandene, aktivierte Netzwerke statt. Trauer ist der Prozess, dieses Netzwerk durch ein neues abzulösen und dabei gleichzeitig dem geliebten Menschen die Möglichkeit zu geben, den richtigen Platz in der Erinnerung einzunehmen. Ein Mammutprojekt!

Die Grundelemente der Trauer um einen Verstorbenen sind in allen Kulturen ähnlich. Die spezifischen Nuancen und der Stil können unterschiedlich sein, aber die Prozesse sind universell. Meist finden sich unmittelbar nach einem Tod Familie, Bekannte und Freunde bei den Hinterblieben ein. Man wacht zusammen, erzählt sich Geschichten vom Verstorbenen, teilt Gefühle. Die Hauptaufgabe von Familie und Freunden besteht darin, dem Hinterbliebenen Halt zu geben. Danach beginnt die eigentliche Trauerarbeit.

Modelle, die Trauer erklären

Es gibt verschiedene Modelle der Trauer, die alle gemeinsam haben, dass es für unsere Seele und unsere Psyche wichtig ist, die Trauer zuzulassen und zu leben. Die drei gängigsten möchte ich im Folgenden vorstellen.

Die fünf Phasen der Trauer von Elisabeth Kübler-Ross

In ihren fünf Phasen der Trauer – Verleugnung, Verhandlung, Wut, Traurigkeit und Akzeptanz – erklärt Elisabeth Kübler-Ross, welche Prozesse aus ihrer Sicht erforderlich sind, um einerseits das alte Leben Stück für Stück aufzugeben, andererseits ein neues Leben zu akzeptieren und zu beginnen.

Verleugnung bedeutet, dass man weiterhin das alte, tief verwurzelte Leben sucht, während das neue, ungewünschte unaufhörlich an die Haustür pocht und Einlass verlangt. Den Tod zu verleugnen kann auf Dauer nicht funktionieren, weil sich die Wahrheit unweigerlich einschleicht. Ist das geschehen, versuchen viele, am alten Leben festzuhalten und mit allem, was neu ist, zu feilschen. Magisches Denken kann Einzug halten, und es wird mit Gott, dem Universum oder dem Schicksal gehadert: Ich will mein altes Leben wieder. Ich tue alles dafür.“

Wenn sich herausstellt, dass auch das nicht funktioniert, kommt die Wut über die unerbittliche Wahrheit. Schliesslich weicht der Zorn, und die Traurigkeit übernimmt das Ruder. Zum Abschluss beginnt man allmählich, die Abwesenheit des anderen, den Tod, unseren Verlust zu akzeptieren. Die Erinnerungen an das alte Leben treten allmählich zurück und sind nicht mehr im ständigen Zentrum unseres Denkens. Dem neuen Leben wird mehr und mehr Platz gemacht.

So logisch vieles in diesem Modell erscheint, habe ich doch meine Probleme damit: Es vermittelt die Idee, dass Trauer bei allen Menschen gleich abläuft und man nur Phase für Phase durchlaufen respektive abarbeiten muss. Aus eigener Erfahrung weiss ich aber, dass dem nicht so ist. Zum einem erlebe ich, dass Trauer in Wellen kommt. Zum anderen habe ich manche der oben genannten Phasen, wie zum Beispiel Verhandlung oder Wut, nie erlebt und bin mir sicher, dass ich sie auch nicht erlebe. Stecke ich jetzt in meiner Trauer fest?

Die vier Trauerphasen nach Verena Kast

Verena Kasts Modell sieht vier Phasen vor.

Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens:

Die Nachricht des Todes löst ohnmächtige Fassungslosigkeit aus. Der Verlust wird geleugnet und kann nicht realisiert werden. Man spürt sich und seine Gefühle nicht mehr. Leere und ein Gefühl von Dumpfheit scheinen jede Empfindung abzuwürgen. Die körperlichen Reaktionen können alle Symptome eines Schocks beinhalten und von einigen Stunden bis zu mehr als einer Woche andauern.

Phase der aufbrechenden Emotionen:

In dieser Phase beginnt die Achterbahn der Gefühle: Wut, Zorn, Schmerz, Trauer, Angst, Schuldgefühle, Niedergeschlagenheit u. v. m. stellen sich ein. Je nach Persönlichkeit können manche Gefühle überwiegen. So verspüren Ängstliche noch mehr Angst, und Choleriker reagieren mit noch mehr Zorn als üblich. Die Ohnmacht des hinterbliebenen Menschen ist für ihn selbst und seine Umgebung oft schwer auszuhalten. Schuldgefühle treten auf, weil man befürchtet, nicht alles getan zu haben, was den Tod hätte verhindern können, oder es werden andere Menschen dessen beschuldigt.

Die Phase des Suchens und des Sich-Trennens:

Einerseits sucht man Orte auf, die der geliebte Verstorbene mochte, hofft in den Gesichtern anderer Menschen Züge des Verstorbenen zu finden oder übernimmt Gewohnheiten des geliebten Menschen. Andererseits versucht man Teile der Beziehung zu erhalten, indem man vom Verstorbenen erzählt oder innere Zwiegespräche mit ihm hält. Diese innere Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen und das Suchen nach ihm bereiten den Trauernden darauf vor, ein Weiterleben ohne den Verstorbenen zu akzeptieren, ihn aber keineswegs zu vergessen.

Die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs:

Die vorangegangenen Phasen haben Wege aufgezeigt, positiv mit dem Verstorbenen umzugehen. Der geliebte verstorbene Mensch wird zu einer Art „innerem Begleiter“. Die Gedanken und Handlungen kreisen nicht mehr ausschliesslich um den Verstorbenen, und sowohl Selbstvertrauen wie auch Bezugsfähigkeit wachsen. So können neue Beziehungen eingegangen und neue Lebensmuster entwickelt werden, ohne dass der Verstorbene vergessen ist.

Wenngleich mich Verena Kasts Modell mehr anspricht, störe ich mich auch hier an der Idee, dass die Trauer quasi planmässig in Phasen abläuft. Kast selbst sagt, dass die Phasen keinesfalls stringent oder idealtypisch verlaufen und auch keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen.

Traueraufgaben nach William Worden

Der Trauerforscher William Worden entwickelte ein Modell, nach dem Trauernde in ihrem Trauerprozess verschiedene Aufgaben bewältigen müssen.

Aufgabe 1: Den Verlust als Realität akzeptieren.

Der Tod eines geliebten Menschen trifft uns meist völlig unvorbereitet, selbst wenn ihm eine längere Krankheit voranging. Gedanken wie „Wann erwache ich aus dem Albtraum?“ sind auch Wochen und Monate nach dem Tod keine Seltenheit. Dennoch ist es wichtig, schrittweise den Verlust zu realisieren und zu akzeptieren. Hilfreich dafür ist der Abschied vom Verstorbenen. Den toten Leib zu sehen und zu berühren verdeutlicht, dass der geliebte Mensch nicht mehr zurückkehren wird. Es braucht weitere Rituale, um den Verlust begreifbar zu machen, wie die Organisation der Trauerfeier, das Aufschreiben von Erinnerungen oder das bewusste Erleben von besonderen Tagen wie Geburtstagen, Todestagen, Feiertagen, die uns insbesondere im ersten Jahr immer wieder dazu zwingen, den Verlust zu realisieren. Bei dieser Aufgabe geht es nicht um ein Verstehen oder gar Gutheissen, sondern nur darum zu realisieren, dass die geliebte Person tot ist und nicht zurückkehren wird.

Aufgabe 2: Den Schmerz verarbeiten.

Der tiefe Schmerz, der durch den Tod eines geliebten Menschen ausgelöst wird, löst ein wahres Gefühlschaos aus. Unterschiedlichste Gefühle treten auf: Wut, Angst, Leere, Verzweiflung, Sehnsucht, Schuld, Einsamkeit, Dankbarkeit, Ohnmacht – gern gleichzeitig oder im schnellen Wechsel. Dauer und Intensität sind unterschiedlich und werden von Phasen abgelöst, in denen man sich „eigentlich ganz normal“ fühlt. Es braucht diese Phasen. Sie geben die physische und psychische Kraft, den Schmerz auszuhalten, denn gleichgültig, wie die Emotionen erlebt werden, es gilt den Schmerz anzuerkennen und zu durchleben.

Aufgabe 3: Sich an eine Welt ohne die verstorbene Person anpassen.

Wenn eine nahestehende Person stirbt, endet nicht nur ihr Leben – man hat auch sein eigenes bisheriges Leben verloren. Wer bin ich nun? Was wird aus mir? Wie geht es weiter? Der Alltag muss neu organisiert werden. Neue Routinen und Strukturen müssen gefunden werden. Die Aufgaben, die man vorher unter sich aufgeteilt hat, müssen nun allein bewältigt werden – das fordert und kann überfordern. Neben dem Trauern ein weiterer Ballast! Viele neue Lebensaufgaben werden gestellt und Sichtweisen unter die Lupe genommen und gegebenenfalls angepasst. So schwierig das auch ist, dadurch entstehen auch neue Lebensperspektiven. Und gelingen einem die Aufgaben, kann dies unser angeknackstes Selbstbewusstsein stärken.

Aufgabe 4: Eine dauerhafte Verbindung zu dem Verstorbenen inmitten des Aufbruchs in ein neues Leben finden.

Genau genommen liegen hier zwei Aufgaben vor: zum einen Wege zu finden, wie wir uns erinnern und den Verstorbenen in uns bewahren können, zum anderen Schritt für Schritt in ein neues Leben aufzubrechen. Unser geliebter Mensch ist zwar unwiederbringlich von uns gegangen, aber wir können die Einflüsse, Gedanken, Erinnerungen aktiv in unser neues Leben einbeziehen. Es geht darum, einen Platz für unseren geliebten Menschen zu schaffen und durch Rituale und Erinnerungen selbst weiterzuleben. Dankbarkeit kann hier ein hilfreiches Instrument sein.

Bei diesem Modell geht es nicht darum, starr alle Aufgaben nacheinander abzuarbeiten. Die Aufgaben sind miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Die Bewältigung der einen Aufgabe hilft auch bei einer anderen. Manchmal kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, manchmal muss man etwas wiederholen. Glücklicherweise kommt man mit jeder Erkenntnis, jeder Erfahrung einen Schritt weiter.

Es gibt nicht DIE Trauer

Trauer läuft einfach nicht linear ab. Sie ist so individuell wie wir Menschen selbst. Man pendelt ständig zwischen zwei Polen: dem Verlust und der Hoffnung, irgendwie, irgendwas wiederherstellen und so halbwegs wieder in ein inneres Gleichgewicht kommen zu können.

Viele Trauernde haben Angst, sie könnten ihre Trauer verdrängen, und befürchten, dass daraus Spätfolgen resultieren. Ja, ein Gefühl will gefühlt werden, aber der kausale Zusammenhang zwischen Verdrängen und Bumerang ist wissenschaftlich nicht belegt. Im Gegenteil: Studien legen nahe, dass es auch Phasen braucht, in denen der Verlust in den Hintergrund tritt – man ihn quasi aus den Augen verliert respektive verdrängt. Das sind Phasen der Erholung. Jeder Trauernde weiss, wie seelisch, geistig und körperlich anstrengend und fordernd Trauer ist. Kein Mensch hält einen permanenten Trauerschmerz aus.

Vergessen Sie also alle Ideen von einem „richtigen Trauern“ – das gibt es nicht. Genauso wenig, wie es ein „falsches Trauern“ gibt. Vergessen Sie auch Spielfilme oder Bücher, in denen Todes-, Beerdigungs- und Trauerszenen vorkommen. Das hat wenig mit der Realität zu tun. Sie zeigen nur einen kurzen Ausschnitt aus dem fiktiven Leben eines Protagonisten und keine 24-Stunden-Realität. Ermutigen Sie sich lieber, wie Kinder zu trauern, nämlich „pfützenweise“. Sie springen in eine Pfütze rein, sind traurig, und im nächsten Moment springen sie wieder heraus und wenden sich etwas anderem – dem Leben –  zu.

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