Was lässt uns zufrieden altern?
„Altwerden ist nichts für Feiglinge”, sagte Joachim Fuchsberger – ist das so? Bedeutet Altern wirklich Schwäche, Leiden und Dahinsiechen? Studien belegen, dass wir im Alter zufriedener werden und einen höheren Selbstwert haben. Das klingt verheissungsvoll, zumal weitere Untersuchungen zeigen, dass Alter auch ein gedankliches Konstrukt ist. Es hängt von meiner Haltung ab, ob ich meine späten Lebensjahre zufrieden verbringe und wie schnell sich die biologische Uhr dreht.
In der Mitte des Lebens tritt das Alter immer mehr in unser Bewusstsein. Wir ahnen, was es bedeuten kann, alt zu sein, haben aber immer noch genügend Abwehrstrategien, um die Augen zu verschliessen vor dem, was da kommen mag. Dabei glauben wir dem in den Medien verbreiteten Bild, das Alter als eine Zeit der Schwäche oder des Leidens zeichnet. Furchtsam glauben wir, dass uns nichts vor der Schnabeltasse und dem Rollator retten kann – nicht einmal literweise Botox. Ist das wirklich so?
Zwei gute Nachrichten!
Glück nimmt im Alter zu. Gemäss einer Studie des amerikanisch-kanadischen Neurowissenschaftlers Daniel Levitin sind wir mit 82 Jahren am glücklichsten. Für seine Untersuchung wertete er Daten der WHO aus mehr als 60 Ländern sowie Hunderterstudien aus renommierten Fachmagazinen aus. Er stellte zudem fest, dass unser Glücksempfinden ab dem 30. Geburtstag abnimmt und erst wieder mit 54 Jahren zunimmt.
Zu einem ähnlichen Ergebnis ist der Psychogerontologe Professor Frieder Lang von der Universität Erlangen-Nürnberg gekommen. Die heutigen SeniorInnen sind körperlich und geistig jünger als ihre Vorgängergenerationen – dies ist dem medizinischen Fortschritt und dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein zu verdanken. Zwar sinkt bei einigen leicht die Zufriedenheit in diesen letzten Lebensjahren aufgrund der nachlassenden Gesundheit und der abnehmenden Selbstständigkeit, aber auch im Hochalter sind sehr viele nach wie vor glücklich mit ihrem Leben.
Überhaupt arbeitet die Zeit für uns! Ulrich Orth, Entwicklungspsychologe an der Universität Bern, hat festgestellt, dass das durchschnittliche Selbstwertgefühl ab der Jugend kontinuierlich steigt und im Alter von etwa 60 bis 70 Jahren den Höhepunkt erreicht. Zudem erleben wir in unseren reifen Jahren weniger grosse Selbstwertschwankungen als in unserer Jugend. Während in unseren jungen Jahren das Selbstwertgefühl von Tag zu Tag recht unterschiedlich ausfallen kann, ist es bei älteren Menschen häufig über Tage hinweg stabil. Für unser Wohlbefinden ist weniger die absolute Höhe des Selbstwertgefühls wichtig als vielmehr die Stabilität, was das zunehmende Glücksempfinden mit erklärt: Endlich ruhen wir zufrieden in uns.
Dürfen statt müssen – auch das ist Altern!
Noch nie waren die Möglichkeiten für SeniorInnen so vielfältig wie heute: reisen, spielen, ob mit Freunden oder den Enkelkindern, Senioren-Uni, fremde Leben erkunden als Au-pair-Oma und so weiter. Das Schöne ist: man muss nicht mehr müssen, sondern darf – wenn man will. Was für eine neu gewonnene Freiheit! Aufstehen, wann ich Lust habe, verreisen, wann es mir passt, bei Schimpftiraden weghören und keine Gedanken mehr an die Bikini-Figur verschwenden. Und sollte irgendetwas mal nicht klappen, weiss man nach den ganzen vorherigen Ups und Downs im Leben, dass auch wieder bessere Zeiten kommen, auf die man sich freuen darf.
Kann man sich jung denken?
Der Volksmund sagt: „Man ist so alt, wie man sich fühlt“ – ist da etwas dran? Untersuchungen zeigen, dass Alter auch eine gedankliche Konstruktion ist und stark von unseren stereotypen Gedanken anhängig ist. Scheinbar lassen uns unsere Erwartungen über das Altern mehr altern, als es physisch sein müsste. Und umgekehrt! Das wurde bereits 1979 von der Harvard-Professorin für Psychologie Ellen Langer in einem sehr aufwendigen Zeitreise-Experiment festgestellt.
Sie ging der Frage nach, ob wir uns körperlich und geistig verjüngen können, wenn wir die psychische Uhr zurückstellen. Die damaligen Probanden wurden zurück in das Jahr 1959 geschickt, mitsamt ihren damaligen Wünschen, Sehnsüchten, Hoffnungen und auch Sorgen. Die Resultate der Studien waren beachtlich, denn alle Probanden fühlten sich nicht nur jünger, sie waren es auch – sichtbar auch für Aussenstehende. Nachweislich verbesserten sich ihre Sehkraft wie auch ihre körperliche Beweglichkeit und geistige Schärfe. Und das nach gerade einmal sieben Tagen! (Lesen Sie dazu mehr im Blog „Kann man sich jung denken?”.)
Das Fazit der Studie ist, dass negative Stereotype über das Alter eine negative Wirkung auf unsere Gedanken und unseren Körper haben. Wenn wir Einschränkungen erwarten, werden diese mit höherer Sicherheit eintreffen. Öffnen wir uns hingegen dem, was möglich ist, statt darüber zu sinnieren und zu klagen, was nicht mehr möglich erscheint, kann sich unsere Gesundheit verbessern.
Das Glücksempfinden pflegen mit Akzeptanz
Jeder wird jeden Tag ein Stück älter. Darüber kann man trauern, sich vor Kummer verschliessen und dabei noch alle überflüssigen Glaubenssätze der Welt aufsagen („In meinem Alter lernt man niemanden mehr kennen”, „Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr” usw.) – oder man akzeptiert es und setzt sich neue, passende Ziele. Im Gegensatz zu Jüngeren, die eine produktive Unzufriedenheit antreibt, haben Ältere gelernt, was sich ändern lässt und was nicht. Sie wissen ihre Ansprüche und Möglichkeiten besser in Übereinstimmung zu bringen, was ein Schlüssel für mehr Zufriedenheit ist.
Ein weiterer Vorteil von Akzeptanz ist, dass er den Blick für die Realität öffnet, ohne allzu pessimistisch zu sein. Indem ich für mich mein Älterwerden akzeptiere, kann ich auch die Augen dafür öffnen, was da auf mich zukommen könnte. Das mag pessimistisch klingen, hält aber länger gesund, wie Studienergebnisse von Frieder Lang zeigen. Wer erwartet, dass sich die persönliche Situation zukünftig verschlechtern könnte, trifft entsprechende Vorsichtsmassnahmen und trägt damit dazu bei, dass die eigenen Befürchtungen nicht eintreffen.
Da der genaue Zeitpunkt nicht bekannt ist, wann wir alt sind, und wir glücklicherweise meistens genauso wenig wissen, wann unsere letzte Stunde schlägt, birgt Akzeptanz das Potenzial für zufriedenes Älterwerden und mehr Gelassenheit. Denn sie hilft uns beim Rückblick, mit uns und unserem Leben ins Reine zu kommen. Je besser ich fähig bin, meine Realität zu akzeptieren, desto leichter kann ich eigene Fehler akzeptieren. Ich muss weder der Vergangenheit grollen noch die vielen „Hätte-ich-doch-nur”-Momente des Lebens bejammern.
Ein gutes Leben im Alter geschieht nicht einfach von allein. Man muss etwas dafür tun – körperlich wie auch geistig. Damit kann man nie früh genug anfangen, und dafür ist es nie zu spät!
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