Bis zu welchem Punkt sind Konflikte alleine noch lösbar?

Bis zu welchem Punkt sind Konflikte alleine noch lösbar?

Bis zu welchem Punkt sind Konflikte alleine noch lösbar?

Bis zu welchem Punkt sind Konflikte alleine noch lösbar?

Stellen wir uns die Frage, ab wann wir einen Konflikt haben, kommt schnell die Antwort: „Sobald wir kleinere Streits und Unstimmigkeiten haben.” Stimmt das? Beginnen Konflikte nicht schon viel früher? Vor den abschätzigen Blicken, den Schuldzuweisungen, den Beschimpfungen, dem entnervenden Gekreische oder dem lähmenden Schweigen? Je schneller wir uns bewusst sind, dass wir uns auf einen Konflikt hinbewegen, desto leichter können wir eingreifen ‒ und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Mit einem guten Konfliktmanagement und guten Kommunikationsfähigkeiten lassen sich Konflikte lösen. Die zentralen Aufgaben eines jeden Konfliktmanagements bestehen darin, Konflikte frühzeitig zu erkennen, die Ausbreitung eines bestehenden Konflikts zu verhindern, Lösungen zu finden und Massnahmen zur Deeskalation zu treffen.

Die Früherkennung nimmt dabei einen zentralen Platz ein. Wenn es noch nicht zu gravierenden Verletzungen gekommen ist, kann die Konfliktlösung sogar noch aus eigener Kraft erfolgen. Beziehungsprobleme – ob zwischen Eheleuten, Freunden oder Arbeitskollegen – entstehen nicht über Nacht. Sie entstehen mit der Zeit und verändern die Umgebung langsam, quasi stufen- oder phasenweise. Jeder Konflikt hat seine Entstehungsgeschichte, deren Dynamik bestimmt wird durch die Anzahl an Verletzungen, Wunden und Narben.

Nicht jeder Konflikt ist des Teufels

Das Wissen, was für ein Konflikt vorliegt, hilft. Ebenso das Wissen, auf welchem Schwierigkeitsniveau sich der Konflikt befindet. Ein gutes Fundament für die grundlegenden Mechanismen und Merkmale von Konflikten ist das Phasenmodell der Eskalation von Friedrich Glasl.

Der renommierte österreichische Konfliktforscher warnt im Übrigen davor, den Begriff Konflikt inflationär zu gebrauchen und inhaltlich zu sehr negativ zu besetzen. Wenn man Konflikten zu viel Raum gibt und sie allzu schnell mit Katastrophen gleichsetzt, nimmt man ihnen das positive Potenzial. Statt aus den Problemen zu lernen, fühlen sich manche Betroffene binnen kurzer Zeit macht- und hilflos. Entweder resignieren sie – oder sie schlagen in blinder Wut um sich und zerstören noch mehr (Glasl 1997, S. 12).

Glasl (1997) spricht von Konflikten, wenn

  • zwei Elemente/Streitparteien
  • unterschiedliche Interessen/Standpunkte
  • gleichzeitig durchsetzen wollen und
  • dadurch eng verbunden sind.
Die neun Stufen der Konflikteskalation

Mit dem Phasenmodell der Eskalation legte Friedrich Glasl 1980 ein Modell vor, mit dem sich jede Art von Konflikt analysieren lässt, egal ob Scheidungen, Streitigkeiten im Büro oder Konflikte zwischen Staaten.

Das Modell hat neun Stufen, die in drei Hauptphasen mit jeweils drei Abstufungen unterteilt sind. Glasl stellt die Eskalation bewusst absteigend dar. Innerhalb der ersten Ebene können beide Konfliktparteien noch gewinnen (Win-win). Auf der zweiten Ebene verliert eine Partei, während die andere gewinnt (Win-lose). Auf der dritten Ebene verlieren beide Parteien (Lose-lose).

Die erste Ebene (Win-win)
Stufe 1 – Verhärtung

Die Kommunikation ist gestört. Unterschiedliche Standpunkte prallen aufeinander. Es kommt zu gelegentlichen Ausrutschern. Meist wird der Beginn eines Konflikts nicht als solcher wahrgenommen.

Stufe 2 – Debatte, Polemik

Diese Stufe ist gekennzeichnet durch Diskussionen, Polemik und Schwarz-Weiss-Denken. Bereits hier fängt das Taktieren an, bei dem man mit echten oder vorgetäuschten Argumenten den anderen überzeugen oder unter Druck setzen will.

Stufe 3 – Taten statt Worte

Die Konfliktparteien erhöhen den Druck auf den jeweils anderen, um sich oder die eigene Meinung durchzusetzen. Es wird eine Strategie der vollendeten Tatsachen verfolgt, da man glaubt, mit Reden am Ende der Fahnenstange zu sein. Gespräche finden nicht statt oder werden abgebrochen. Es ist die Phase, bei der die Empathie für den anderen verloren geht.

Die zweite Ebene (Win-lose)
Stufe 4 – Images und Koalitionen

Um den Konflikt weiter anzuheizen, sucht man Sympathisanten für die eigene Sache. Dabei fixiert man sich auf ein Feindbild und verbreitet stereotype Bilder und Klischees vom anderen. Da man sich im Recht glaubt, wird der Gegner denunziert. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern zum einen darum, den Konflikt zu gewinnen, und zum anderen darum, dass der Gegner verliert.

Stufe 5 – Gesichtsverlust

Der Gegner soll in seiner Identität vernichtet werden durch öffentliche Blossstellung und alle Arten von Unterstellungen. Es beginnt ein fanatischer Kampf um Ideologie, Werte und Prinzipien. Gesichtsverlust bedeutet in diesem Sinne Verlust der moralischen Glaubwürdigkeit. Mit ihm einher geht ein vollkommener Vertrauensverlust.

Stufe 6 – Drohstrategien und Erpressungen

Um Kontrolle über die Situation zu haben, wird anhand von Drohungen versucht, Macht auszuüben. Drohungen und Gegendrohungen wechseln sich dabei ab. Beide Parteien manövrieren sich mehr und mehr in Sackgassen mit Handlungszwang. Forderungen werden aufgestellt und Sanktionen bei Nichterfüllung angedroht. Die eigene Glaubwürdigkeit wird untermauert durch die Demonstration der Sanktionsmittel (z.B. „Sollten Sie mir kündigen, lasse ich belastendes Material durchsickern. Hier ist der USB-Stick, auf dem ich alles gespeichert habe“).

Die dritte Ebene (Lose-lose)
Stufe 7 – Begrenzte Vernichtungsschläge

Ab dieser Stufe geht es nicht mehr darum, selber zu gewinnen, sondern den Gegner zu schädigen. Strategien werden entwickelt, um dem anderen empfindlich zu schaden. Dabei werden dem Feindbild jegliche menschlichen Qualitäten abgesprochen und Lügen als „Kriegslist” eingesetzt. Ab hier werden zudem begrenzte eigene Schäden in Kauf genommen und teilweise sogar als Gewinn angesehen, sollte der Schaden des Gegners grösser sein.

Stufe 8 – Zersplitterung, totale Zerstörung

Alles ist auf den Zusammenbruch des Gegners ausgerichtet. Der Feind soll durch verschiedenste Aktionen vernichtet werden.

Stufe 9 – Gemeinsam in den Abgrund

Der Name der Stufe ist Programm: Es gibt nichts mehr zu gewinnen, und Aufgeben ist nicht mehr möglich. Es geht nur noch darum, den Gegner zu besiegen. Die eigene Vernichtung wird dabei in Kauf genommen.

Konflikteskalation und Konfliktmanagement

Gemäss Glasl sind alle Konflikte bis zur Stufe 8 zivilisierbar – mit jeweils unterschiedlichen Mitteln. Für die Konfliktklärung braucht es keine geschichtliche Aufarbeitung, was in welcher Stufe passiert ist. Es reicht das Verständnis, in welcher Phase man sich gerade befindet, um angemessene Reaktionen zur Deeskalation zu nutzen. Mithilfe des Modells sieht man schnell, ob man mit Kanonen auf Spatzen zielt oder es sich um vergebene Liebesmüh handelt.

Bei der Einordnung des Konflikts ist es wichtig, auch die Schwellen zwischen den Ebenen wahrzunehmen. Zwischen der ersten und der zweiten Ebene existieren Möglichkeiten für einen zivilisierten Umgang und das Finden von kooperativen Lösungen auf der Sachebene. Bei der Schwelle von der zweiten zur dritten Ebene existieren immerhin noch moralisch-ethische Skrupel.

Die Eskalationsstufen 1 bis 6 lassen sich gut bearbeiten, insbesondere die Stufen 1 bis 3 können in der Regel noch ohne Fremdhilfe bewältigt werden. Auf den Stufen 2 und 3 geht es vor allem um Mediation und um Perspektivwechsel. Ab Stufe 4 sollte man externe informelle Hilfe hinzuziehen (z.B. Prozessbegleitung/Coaching, Mediation). Ab Stufe 7 ist für eine Deeskalation externe formelle Hilfe zwingend notwendig (z.B. Polizei, Rechtsprechung).

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4 thoughts on “Bis zu welchem Punkt sind Konflikte alleine noch lösbar?

  1. Thomas

    Danke Dir, dass Du den Glasl so schön klar und einfach bedienbar dargestellt hast. Die Konfliktsituation lässt sich mit SokratesKarten sehr präzise visualisieren und damit wird die Lage und Befindlichkeit der Parteien im Detail sichtbar. Spannend ist, dass der SOLL Zustand ohne Konflikt kartografiert wird und so dann die Parteien ihre Wahrnehmung der einzelnen Felder gemeinsam, aber mit ihrer Einfärbung einzeichnen können. Super spannend ist dann, dass dann die gemeinsam tragenden Felder (grün) sichtbar werden, aber auch sichtbar wird, dass ganz unterschiedliche Wahrnehmungen auf unterschiedlichen Feldern vorliegen. Emotional beruhigende Übersicht und Orientierung entsteht. Jede Konfliktpartei kann nun einzeichnen, wo zuerst aus ihrer Sicht gearbeitet werden soll, womit erste Deeskalationsbewegungen schon begonnen haben. Später, nach Klärung des Konflikts, kann die Karte zur Sicherstellung der Kooperation genutzt werden – Lernen mit und aus Konflikten.

  2. Förster Heidi

    Danke für diese Darstellung des Konfliktmanagements. Es entspricht voll der Realität. Was ich dazu noch ergänzen möchte ist, wie reagiert der Denunzierte. Wenn der Angeschuldigte das Spiel nicht durchschaut, ist der irgendwann in der Schuldenrolle und somit ist die Strategie des Denunzanten aufgegangen. Fährt der Denunzierte eine eigene Strategie, kann dies einen ganz anderen Verlauf nehmen etc.

  3. Silke Weinig Post author

    Lieber Thomas, vielen Dank für Dein Feedback und Deinen Beitrag. Als ich diesen Text geschrieben habe, dachte ich ebenfalls an die SokratesKarten: eine effiziente Vorgehensweise, um leicht und konfliktfrei verschiedene Wahrnehmungen aufzunehmen und zu visualisieren. Eine gute Basis, um dann Lösungen zu erarbeiten und Einigungen zu erzielen, statt dumpf auf Positionen zu verharren.

  4. Silke Weinig Post author

    Jede Reaktion wirkt auf das System – sei es der Denunzierte bemerkt Strategie des anderen nicht. Sei es, er bemerkt es und fährt eine eigene Strategie. Insbesondere im letzteren Fall ist die Frage: was wird er tun? Den negativen Sog verstärken oder abbremsen? Gewaltfreie Kommunikation oder Verhandlungsmethoden, wie das Harvard Konzept können Möglichkeiten sein, um die negative Abwärtsspirale zu beenden. Hilfreich ist, wenn auch der andere mitmacht und wirklich eine Lösung will. Sofern nicht, kann sich der Denunzierte zumindest sicher sein, dass er auf einem höheren Niveau agiert.

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