Kann Gewaltfreie Kommunikation ein Schlüssel zur wirksamen Konfliktlösung sein?
Die Gewaltfreie Kommunikation soll Menschen nicht nur dazu befähigen, friedvoll(er) miteinander umzugehen, sondern auch zu mehr Vertrauen und Lebensfreude führen, unter anderem durch Erkenntnisgewinn, Perspektivwechsel und einen wertschätzenden Austausch. Kann Gewaltfreie Kommunikation wirklich so viel leisten, oder sind das eher Ideen aus dem Lager „lila Latzhosen & Räucherstäbchen“?
Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist ein Handlungskonzept, das in den 1960er Jahren vom US-amerikanischen Psychologen und Konfliktmediator Dr. Marshall B. Rosenberg entwickelt wurde. Ihr Ziel ist es, Menschen über Kommunikation den Weg zu ebnen für die Entwicklung von wertschätzenden Beziehungen, die es ermöglichen, gemeinsam kreative und kooperative Lösungen für das Zusammenleben zu finden.
Unerfüllte Bedürfnisse führen zu Konflikten
Statt destruktiv vorzugehen und bei Streitereien den anderen abzuwerten, zum Beispiel indem man ihm Vorwürfe macht oder niedere Motive unterstellt, soll eine „Sprache der Einfühlsamkeit“ zur Lösung der Konflikte führen. Die Grundannahme dabei ist, dass hinter jedem Konflikt unerfüllte Bedürfnisse stehen, zum Beispiel der Wunsch nach Wertschätzung, Respekt oder Verständnis. Indem das jeweilige Bedürfnis erkannt, in Worte gefasst und von den Kontrahenten verstanden wird, kann ein Konflikt gelöst werden.
Vor dem Hintergrund einer unerfüllten Bedürfnislage sieht die GFK daher in den schädigenden Handlungen einer Person nicht den Ausdruck ihres inneren Wesens, sondern die „fehlgeleitete“ Strategie eines eigentlich lebensdienlichen Impulses. In diesem Sinne poltert ein Choleriker nur deswegen herum, weil sein Bedürfnis nach Zuwendung und Anerkennung nicht befriedigt ist. Eine Drama-Queen sucht mit ihren theatralischen Showeinlagen nach Aufmerksamkeit. Die GFK spricht in solchen Fällen von „lebensentfremdender Kommunikation“. Begründet durch die empathische Grundhaltung ist der Anspruch der GFK, einen Menschen aufgrund seines „Kommunikationsstils“ nicht moralisch zu verurteilen.
Wir tragen die Lösungen zu unseren Problemen schon in uns
Die GFK steht in der Tradition der klientenzentrierten Gesprächstherapie, die von Rosenbergs Lehrer Carl Rogers (1902–1987) entwickelt wurde. Für Rogers stand im Mittelpunkt das aktive Zuhören, darüber hinaus die bedingungslose positive Zuwendung wie auch eine humanpsychologische Menschensicht: Wir sind im Grunde unseres Wesens gesund und fähig, zu wachsen und unser Potenzial zu entwickeln.
GFK – eine (neue) Haltung und weniger eine Kommunikationstechnik
Beeinflusst von verschiedenen Überlegungen zur Gewaltfreiheit, wie denen von Mahatma Gandhi, ging Rosenberg weiter und sah nicht einfach nur im aktiven Zuhören eine Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Für ihn sind die Pfeiler das einfühlsame Hören und Sprechen wie auch die Änderung der persönlichen Grundhaltung bei Konflikten. GFK ist weniger eine Kommunikationstechnik als eine innere Haltung sich selbst und anderen gegenüber, die von Mitgefühl geprägt ist. Prinzipiell ist es nicht unbedingt nötig, dass beide Gesprächspartner GFK anwenden – wenngleich es insbesondere am Anfang hilfreich ist.
In der GFK ist nicht nur das Einfühlen in eine andere Person wichtig, sondern auch die Selbstempathie. Nur wenn wir uns selbst kennen und in all unseren Facetten akzeptieren, erhalten wir Klarheit in einer Situation und können Strategien finden, die der Bedürfniserfüllung auf allen Seiten dienen.
Nutzen: Erkenntnisgewinn und ein dickeres Fell
Unter Anwendung von GFK kann man erleben, wie sich die Umgebung verändert, wenn man seinen Kommunikationsstil verändert. Indem man Aussagen zunächst neutral betrachtet, schafft man ausserdem die nötige Distanz, um nicht alles persönlich zu nehmen.
Die GFK ermöglicht ein verbessertes Verständnis auf beiden Seiten und Transparenz von Absicht und Motiven, sodass Abwehrreaktionen oder Aggressionen wegfallen können. Obwohl man sich in Interaktion mit einem anderen befindet, kann die erhöhte Aufmerksamkeit nach innen und nach aussen zu einer erkenntnisreichen Selbstreflexion führen. Allein schon das Wissen über die eigene Gefühlslage kann helfen, Probleme zu lösen.
GFK erfolgt in vier Schritte, wobei die Reihenfolge variieren kann:
- Beobachtung: Beschreiben Sie konkret die Handlung oder Unterlassung, frei von Schuldzuweisung und ohne diese mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen.
Beispiel: „Du hast die Präsentation nicht wie besprochen am Freitag abgeben. Ich habe deswegen das Wochenende damit verbracht, sie zu erstellen.“
Statt: „Du bist stinkfaul und arbeitest schlampig. Auf dich ist null Verlass.“
- Gefühl: Beschreiben Sie das konkrete Gefühl, das Sie bei der Beobachtung empfinden. Gefühle sind ein Kompass dessen, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt ist oder nicht.
Beispiel: „Ich bin müde und frustriert, weil ich mich alleine gelassen und ausgenutzt fühle.“
Statt: „Du machst nur, was du willst. Ich bin dir doch schnurzegal.“
- Bedürfnis: Analysieren Sie, welches Bedürfnis hinter Ihrem Gefühl steckt. In der GFK sind mit Bedürfnissen allgemeine Qualitäten gemeint, die für die meisten Menschen wichtig sind, wie zum Beispiel Sicherheit, Anerkennung, Wertschätzung, Autonomie oder Respekt.
Beispiel: „Mir ist wichtig, dass ich mich an meinem Wochenende ausruhen und mich auf gemachte Zusagen verlassen kann.“
Statt: „Ich würde auch gerne mal wie du alle viere von mir strecken und nur an mich denken.“
- Bitte: Formulieren Sie eine Bitte für eine konkrete Handlung. Rosenberg schlägt vor, Bitten in einer „positiven Handlungssprache” zu formulieren – sprich zu sagen, was man will, statt was man nicht will. Eine Bitte ist keine Forderung, das zeigt sich spätestens, wenn die Bitte auf Ablehnung stösst. In diesem Falle ermöglicht eine Bitte eine erweiterte Suche nach anderen Möglichkeiten des Entgegenkommens. Bei einer Forderung hingegen drohen Sanktionen, sei es durch Strafen oder das Erzeugen von Angst und Schuldgefühlen.
Beispiel: „Ich bitte dich künftig, gemachte Terminvereinbarung einzuhalten. Sag mir bitte, ob du dazu bereit bist, oder wollen wir gemeinsam nach einem Weg suchen, wie unser beider Bedürfnis nach Zuverlässigkeit erfüllt werden kann?“
Statt: „Wenn du das nächste Mal nicht pünktlich lieferst, dann …!“
Obgleich dieser Schritt nicht in der GFK vorgesehen ist, ist es hilfreich, beim anderen nachzufragen, ob er/sie uns verstanden hat und wie es ihm/ihr damit geht.
Rosenberg fasste übrigens diesen vierstufigen Prozess in einem kurzen Satz zusammen: „Wenn a), dann fühle ich mich b), weil ich c) brauche/wünsche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d).“
Keine sprachliche Schönfärberei
Ein häufiges Missverständnis ist, dass die GFK Bewertungen, insbesondere negative, grundsätzlich ablehnt. Dem ist nicht so. Die Handlungen anderer dürfen bewertet werden. Jedoch immer mit Bezug auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, aber ohne Zuschreibung von moralischen Eigenschaften wie gut/böse, gerecht/ungerecht usw. Die Bewertungen dürfen beim anderen nicht zu negativen Gegenreaktionen führen.
Stolpersteine der GFK
Die Stärke des Modells liegt darin, dass wir lernen, zwischen Worten, Gefühlen und Bedürfnissen zu unterscheiden. Jedoch fällt es vielen Menschen schwer, ihre Gefühle genau wahrzunehmen und daraus ihre Bedürfnisse zu abzuleiten. Oftmals überwiegen stattdessen Ärger und Wut, was uns den Blick auf den eigentlichen Auslöser für den Konflikt verwehrt. Zudem ist nicht jeder in der Lage, sich in andere einzufühlen.
Hinzu kommt, dass die GFK auf Gegenseitigkeit beruht. Sie funktioniert nur, wenn sich alle Beteiligten die Chance geben, einfühlsam zu sprechen und zuzuhören. Oftmals mangelt es jedoch an Bereitschaft, in diesen Prozess zu investieren, insbesondere in Machtsituationen.
Fazit
Man könnte glauben, dass GFK nichts anderes ist als die wissenschaftlich neu verpackte Idee von „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“. Doch GFK ist mehr. Da aus der Sicht der GFK Gewalt bereits dann beginnt, wenn unsere Aufmerksamkeit auf Bewertungen, Urteile und Kritik ausgerichtet ist, ermöglicht sie uns einen achtsamen Blick nach innen und aussen. Indem wir mit GFK unsere Aufmerksamkeit darauf ausrichten, was wir selber in diesem Moment brauchen, statt auf das, was der andere falsch macht, eröffnet sie uns neue Perspektiven und Handlungsweisen. Mithilfe von GFK kann ich bei mir bleiben, und das in Empathie mit mir und dem anderen. Ich muss mich nicht in jeden Konflikt hineinziehen lassen und kann mich nach Streitereien leichter erholen. Der neutrale Blick ermöglicht mir, mein Verhalten und meine Wortwahl zu überdenken – das mag manchem schwierigen Zeitgenossen egal sein, aber mir tut es gut!