Ab wann ist jemand „schwierig“?
Die einen sagen, dass es nur schwieriges Verhalten gibt, und das auch nur aus dem Blickwinkel des jeweiligen Betrachters. Die anderen behaupten, dass es sie gibt: pathologisch schwierige Menschen. Welches Lager hat Recht? Vielleicht beide? Ab wann empfinden wir einen anderen als anstrengend und schwierig? Und wie viel hat das mit uns zu tun?
„Die Hölle, das sind die anderen”, wusste schon Jean-Paul Sartre zu sagen. So verwundert das Ergebnis einer Studie des US-amerikanischen Psychologen Todd Kashdan wenig, der herausfand, dass in 63,3 Prozent aller Fälle andere Menschen die Hauptquelle für Ärger und Wut sind. Der hohe Anteil lässt erahnen, dass man auch selber zuweilen der Grund für Frust beim Gegenüber ist. Es gibt halt schlechte Tage, ungünstige Konstellationen, gegensätzliche Vorstellungen, und manchmal passt die Chemie einfach nicht.
Querulant oder Querdenker?
Ein Mensch, den wir als schwierig wahrnehmen, muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Ganz im Gegenteil! Die Geschichte ist voll von unbequemen Menschen, die Missstände anprangern, als Querdenker Impulse geben oder sich als Charakterköpfe mit Ideenreichtum auszeichnen.
Jeder kann mal schwierig, unbequem und anstrengend für einen anderen sein. Dennoch gibt es Personen, deren Verhalten von überdurchschnittlich vielen Mitmenschen als irritierend und störend erlebt wird. Querulanten und Dauernörgler, denen man nichts rechtmachen kann. Choleriker, die bei kleinsten Lappalien explodieren und ausgesprochen aggressiv reagieren. Paranoiker mit einem ausgeprägten Misstrauen oder Egozentriker, deren penetrante Selbstbezogenheit schwer zu ertragen ist. Bei nicht wenigen der anstrengenden Zeitgenossen liegt eine behandlungswürdige Persönlichkeitsstörung vor. Der Unterschied zwischen gelegentlich nervig und tatsächlich schwierig liegt also in der Häufigkeit und Intensität sowie daran, ob der Betreffende psychisch gesund ist oder nicht.
Alles eine Frage der Perspektive
Zwei wichtige Fragen im Umgang mit unangenehmen Menschen sind: Warum nehmen wir das Gezeter persönlich oder fühlen uns angegriffen oder verletzt? Und welchen Einfluss haben wir und unser Umgang mit ihnen auf sie? Sprich: Wann und warum fühlen wir uns angesprochen und lösen möglicherweise – wenn auch ungewollt – mit unserem Benehmen das Verhalten des anderen aus?
Tagesform vs. Charaktereigenschaft
Häufig führen individuelle Erlebnisse dazu, ob und wann wir jemanden als schwierig empfinden. An manchen Tagen bringt uns nichts aus der Ruhe, an anderen flattert unser Nervenkostüm. Einzig in der Persönlichkeit eines Menschen die Ursache für seine Handlungen zu sehen bezeichnet man in der Psychologie als „fundamentalen Attributionsfehler“. Dies deutet an, dass man mit seiner Meinung über den anderen nicht immer unbedingt richtig liegt.
Das Fundamentale am Attributionsfehler
Der Attributionsfehler tritt vor allem dann auf, wenn wir jemanden kaum oder gar nicht kennen. Der Begriff beschreibt, wie man manchmal in die Denkfalle tappt, charakterliche Eigenschaften über- und gleichzeitig situationale Faktoren unterzubewerten. Die Kellnerin oder der Busfahrer, die uns gerade angepampt haben, müssen also nicht zwangsläufig unfreundliche Menschen sein. Manchmal hat jemand einfach nur schlechte Laune. Wer weiss, was ihr oder ihm heute schon alles passiert ist, so dass er gerade einem inneren, leider negativen Impuls nachgegeben hat?
Selbstverständlich sollte man sich bei allzu übergriffigen Verhaltensweisen wehren, jedoch lohnt es sich auch, manchmal fünfe gerade sein zu lassen und nicht jedes Wort oder jede Geste überzubewerten. Statt sich die Laune verderben zu lassen, kann man solche Situationen auch für das Üben von Verständnis und Nachsicht nutzen. Das mag nicht immer gelingen, aber schafft man es, darf man sich ruhig stolz auf die Schulter klopfen.
Wahrnehmung ist auch kulturell geprägt
Übrigens haben Europäer und US-Amerikaner eine höhere Tendenz als Asiaten, dem fundamentalen Attributionsfehler auf den Leim zu gehen. Grund hierfür ist, dass die meisten Asiaten in kollektivistischen Kulturen leben, sprich das Wohlergehen des Kollektivs nimmt die höchste Priorität ein. Die Interessen des Individuums werden denen der Gruppe untergeordnet. In einer solchen Kultur sind Menschen stärker daran gewöhnt, zunächst situative Faktoren zum Erklären von auffälligen Verhaltensweisen zu Rate zu ziehen.
Unterschied zwischen gelegentlich und pathologisch schwierig
Alle Wesenszüge, deren Ausprägung eine gewisse Stabilität aufzeigen, machen unsere Persönlichkeit aus. Sofern man nur hin und wieder mal morgens schlecht gelaunt ist, kann man nicht von Übellaunigkeit als Persönlichkeitseigenschaft sprechen, da es sich hier um nicht um eine persönliche Grundstimmung handelt.
Gene und Umwelteinflüsse prägen
Gemäss dem Psychologie-Professor Jaap Denissen wird unserer Persönlichkeit zur Hälfte von unseren Genen bestimmt und zur Hälfte durch Umwelteinflüsse. Ständig werden wir durch Erlebnisse und Erinnerungen geformt, die in unserem bewussten Verstand wie auch in unserem unbewussten, emotionalen Erfahrungsgedächtnis gespeichert werden. Der Input, den wir bekommen, kann zu positiven wie auch zu negativen Verstärkungen führen, was wiederum Auswirkungen auf unser Verhalten hat. So zeigen Studien, dass Menschen in stabilen Beziehung weniger neurotisch sind und dass man unter Stress eher emotional instabil ist.
Lässt sich ein irritierendes Verhalten nicht durch aktuelle Umstände wie eine Krise erklären, sondern ist die Person konstant unhöflich, feindselig oder übellaunig und kann oder will sie diese Verhaltensweise nicht ändern, so kann man von einer stabilen Charaktereigenschaft sprechen.
Tipp: Fassen Sie es in Sprache!
Wie leicht charakterisiert man jemanden, den man nervig findet, als doof oder schwierig? Um dahinterzukommen, warum man den anderen als anstrengend empfindet, können wir in Worte fassen, was wir am Verhalten des anderen schwierig finden. Das zwingt uns, zu fokussieren und genau hinzuschauen. Fast von alleine schafft das ein diagnostisches Bewusstsein, das es braucht, um die erlebte Situation vom vermeintlich stabilen Charakterzug zu trennen. Zudem kann es einen manchmal heilsamen Perspektivwechsel unterstützen.
Ohne übertrieben selbstkritisch zu sein, sollte man zudem reflektieren, ob man selbst – wenn auch ungewollt – zum schwierigen Verhalten des anderen beiträgt. Wie sieht die persönliche Frustrationstoleranz gegenüber dem anderen aus? Ist es möglich, dass Sie bei ihm unangenehme Erinnerungen, Gefühle oder Gedanken auslösen? Diese Prozesse laufen meistens vollkommen unbewusst ab – auf beiden Seiten. Unter der Prämisse, dass jedes Verhalten einen Grund hat und für den anderen möglicherweise logisch und sinnvoll ist, kann diese systemische Betrachtung zur Problemlösung beitragen, und sei es nur, am Ende die Gewissheit zu haben, dass der andere tatsächlich schwierig ist. Spätestens dann brauchen Sie nichts mehr persönlich zu nehmen.
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