Kann es sein, dass es Burnout gar nicht gibt?
Ausgebrannt – geistig und körperlich erschöpft: Burnout gilt als Massenleiden der modernen Arbeitswelt. Obwohl bereits in den 1970ern erstmalig beschrieben, wurde das Phänomen erst ab den 1990ern einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Seitdem tauchen Diskussionen darüber regelmässig in den Medien auf. Kritiker erheben den Vorwurf, mit der Bezeichnung Burnout ein Modewort geschaffen zu haben, das ernst zu nehmende psychische Erkrankungen verharmlost.
Kontinuierlich hat die Komplexität unserer Arbeitswelt zugenommen. Alles muss schnell gehen, Kunden werden immer anspruchsvoller, und es gibt kaum einen Arbeitszweig ohne Digitalisierung. Druck, Belastung und Stress sind gestiegen. Da wundert es nicht, dass jedes vierte Seminar, das die Krankenkassen übernehmen, etwas mit Entspannung zu tun hat.
In den letzten zehn Jahren haben sich die Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen Leiden verdoppelt. 40 Prozent der Frühberenteten mussten ihre Arbeit wegen seelischer Erkrankungen aufgeben. Im Laufe der Lebenszeit erleidet eine von fünf Personen eine psychische Erkrankung.
Irgendwas läuft schief in unserer Arbeitswelt, denn wie kann man sich sonst diese Entwicklung erklären – Tendenz steigend? Vielerorts wird als Erklärung Burnout genannt, eine affektive Reaktion von Körper und Geist auf kontinuierliche Stressbelastungen im Beruf. Sie umfasst drei Dimensionen: emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung/Distanzierung, reduzierte Leistungsfähigkeit.
Der Begriff tauchte erstmals 1974 auf
Der Begriff Burnout wurde von dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberger geprägt, und zwar im Jahr 1974. Es handelt sich also nicht um ein neues Phänomen der letzten zehn Jahre. Jedoch ist es eine Folge unserer modernen Arbeitsweise. Im Jahr 1976 erfolgte eine weitere Untersuchung und Analyse durch die Psychologin Corinna Maslach. Durch sie fand der Begriff Eingang in die psychologische Wissenschaft. Maslach entwickelte das Maslach-Burnout-Inventar (MBI), das die Erkrankung messbar machte.
Burnout als Diagnose gibt es nicht
Im DSM (Leitlinien für die Diagnostik psychischer Erkrankungen) ist Burnout nicht als eigenständige Erkrankung erfasst. Innerhalb des ICD-10 (International Classification of Disorders) der World Health Organisation (WHO) spricht man nur von einer Zusatzdiagnose (Z73.0).
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Diagnosen historisch entstandene Konsensentscheidungen sind. Es handelt sich um Konstrukte, die von einem internationalen Expertengremium erstellt, erörtert und verabschiedet werden. Das ICD-10 zum Beispiel umfasst pragmatische Diagnosen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die darin aufgeführten Kriterien gehen auf sehr viele verschiedene Studien, Untersuchungen und Analysen zurück.
Wenngleich die Studien und Untersuchungsergebnisse rund um das Thema Burnout kontinuierlich wachsen und sich unser Wissen darüber vergrössert, bleibt abzuwarten, ob und wann Burnout als eigenständige Diagnose in das ICD-10 aufgenommen wird.
Nur ein Modewort?
Auch wenn die Medien immer wieder über die Folgen von permanentem arbeitsbedingten Stress im Allgemeinen und von Burnout im Speziellen berichten, herrscht in der Fachwelt Uneinigkeit, ob es Burnout als solchen überhaupt gibt. Prominente Kritiker wie die Psychiater Ulrich Hegerl oder Manfred Lütz, aber auch die Deutsche Krebshilfe äussern Kritik und sprechen von einem Modewort.
So führt Hegerl an, dass es populär geworden sei, vom Ausgebranntsein zu sprechen. Hingegen auf der anderen Seite viele Stressfolgeerkrankungen als Burnout bezeichnet werden, dabei liegen alle Kriterien einer Depression vor! Auf der einen Seite sprechen manche also viel zu schnell davon, ausgebrannt zu sein, dabei fühlen wir uns alle gelegentlich erschöpft und sehnen uns nach Ruhe. Auf der anderen Seite wird die sehr ernstzunehmende psychische Erkrankung Depression mit dem weniger stigmatisierten Begriff verharmlost.
Fehldiagnosen können zu Fehltherapien führen
Wenngleich die Diskussion über Burnout dazu geführt hat, dass wir öffentlich(er) über psychische Erkrankungen sprechen und zudem vermehrt Kritik an unserer modernen Arbeitswelt wagen, kann eine Vermischung oder Gleichstellung von Burnout und Depression schwerwiegende Konsequenzen haben. Fachleute befürchten, dass konsequente Behandlungen unterbleiben, wenn Depressionen nicht beim Namen genannt, sondern hinter einem Begriff versteckt werden, der suggeriert, eine Auszeit, Urlaub und mehr Schlaf könnten helfen.
Ist der Mensch depressiv, ist es ein Trugschluss, ja sogar fahrlässig zu glauben, Ausschlafen und Urlaub seien gute Bewältigungsstrategien. Längere Bettruhe kann bei Menschen mit Depressionen die Erschöpfung verstärken und die Stimmungslage verschlechtern. Hingegen ist Schlafentzug eine etablierte antidepressive Methode bei stationärer Behandlung. Ebenso wenig sind Urlaubsreisen für depressiv Erkrankte förderlich, denn die Depression reist mit und kann sich am Ferienort verstärken.
Aufleuchten ja, ausbrennen nein!
Sicherlich sind Burnout und Depression miteinander verknüpft. Dennoch kann man nicht sagen, dass Depression gleich Burnout ist. Hauptargument ist, dass der Burnout im Gegensatz zur Depression situationsspezifisch und arbeitsbezogen ist. Grundsätzlich steigt die Wahrscheinlichkeit einer Depression, je schwerer der Burnout ist.
Zwar gibt es für den Burnout weder eine psychiatrische Diagnose noch ein klar abgegrenztes wissenschaftliches Konzept, aber seit den frühen 1970er Jahren ist das Beschwerdebild bekannt und wird seitdem fortlaufend untersucht. Im Gegensatz zur Depression erfolgt beim Burnout keine psychiatrische Stigmatisierung, da die geistige und körperliche Erschöpfung durch starken Berufsstress und grosse Arbeitsbelastung bedingt ist.
Da das Thema eine immer breitere Öffentlichkeit findet, kann Betroffenen schneller geholfen werden. Zum Beispiel bereits vor dem Burnout, indem Arbeitgeber zu präventiven Massnahmen greifen und allgemein die körperliche und seelische Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Fokus haben.
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Toller Artikel, gefällt mir sehr gut. Liebe Grüsse, Céline
danke Dir für die Klärung. Thomas
Vielen Dank Thomas! Ich freue mich, dass Dir der Artikel gefällt.
Vielen Dank Céline! Ich freue mich, dass Dir der Artikel gefällt.
Die Darstellung gefällt mir. Ja, den Burnout gibt’s, und manchmal gibt’s noch etwas obendrauf – dann wird’s aber schwierig mit Schlafentzug als therapeutischem Mittel.
Liebe Solveig, Danke für Deinen Beitrag. Ja, man sollte das weder verharmlosen, noch bei der Heilung zu lange warten oder denken „Das wird schon“. Herzliche Grüsse, Silke
Liebe Silke,
danke für den interessanten Artikel. Ich kann ich mir gut vorstellen, dass Burnout im Kern nichts anderes ist als eine mehr oder minder schwere Depression. Psychische Krankheiten wie Depressionen werden oft als Makel empfunden oder vom Umfeld nicht ernst genommen. Burnout dagegen klingt fast ehrenwert.
Hohe Arbeitsbelastung allein verursacht noch keinen Burnout, auch wenn sie über längere Zeit geht. Gefahr für die psychische und physische Gesundheit droht jedoch, wenn wir unsere Arbeit und unsere Leben als inkohärent erleben – als nicht mehr verstehbar, gestaltbar und sinnvoll (Kohärenzbegriff nach Antonovsky). Und das hat in der Tat viel mit der Arbeitswelt zu tun. Selbstfürsorge des einzelnen UND eine gesunde Unternehmenskultur können hier vorbeugen.
Liebe Christine
Vielen Dank für Deinen Beitrag, insbesondere Deine Gedanken, wie wichtig es ist, dass wir Privat- und Arbeitsleben als kohärent leben. Unsere persönlichen Werte legen wir ja nicht mit der Stechuhr ab.
Es ist tatsächlich bedenklich, dass oftmals psychische Krankheiten nicht beim Namen genannt werden, weil die Betroffenen Stigmatisierung befürchten. Dies führt dazu, dass wichtige Themen nicht ausreichen besprochen werden, wie z.B. unsere grundsätzliches Wertesystem und zudem auf Dauer zu wenig nachhaltige Lösungen und Konzepte erarbeitet werden.
Herzliche Grüsse,
Silke
Liebe Silke,
danke für den ausführlichen und sehr gut geschriebenen Artikel.
Burnout gibt es. Leider musste ich selbst erleben, wie er sich einschleicht.
Die Abgrenzung zur Depression ist schwer, da sich die Symptome sehr ähnlich sind. Aber es gibt eine Grenze. Zum Zeitpunkt der Diagnose einer Depression wird häufig von Patienten beschrieben, dass eine komplette Unlust zum Leben besteht. Suizidgedanken verstärken sich häufig.
Wenn Burnout besteht, sind Überlastung und massiver Stress (emotional und körperlich) vorherrschend. Sie haben ihre eigenen Bedürfnisse dermaßen ignoriert und so selten „Pause gemacht“, dass sie sich ausgebrannt und total erschöpft fühlen.
Mir ging es so. Aber ich habe es geschafft. Ein Hörsturz musste mit Cortison behandelt werden, aber der Rest lag in meiner Hand.
Viele Grüße,
Kerstin
Liebe Karin
Vielen Dank für Deinen Beitrag und Deine Offenheit. Ich freue mich, dass Du Wege raus aus dem Burnout gefunden hast und wünsche Dir weiterhin alles Gute auf deinem Weg. Ich finde toll, dass Du mit anderen Deine Erfahrungen teilst!
Herzliche Grüsse, Silke