Was tun, wenn man im Job zwischen Sinnsuche und Dauerkrise ist?
In unserer Gesellschaft hat der Beruf einen hohen Stellenwert. Er ist prägend für unsere Identität und weist uns unsere gesellschaftliche Stellung zu. Zum inneren Dilemma wird die Arbeit, wenn wir sie weder mit Freude ausüben noch Sinn in der Tätigkeit sehen. Studien zeigen, wann ein Beruf als sinnvoll erlebt wird. Faktoren wie Geld und Existenzsicherung sind dabei weniger wichtig als Mitbestimmung und Zugehörigkeit.
Es gibt eine Vielfalt an Ansätzen und Überlegungen, was mit Lebenssinn und Sinnerfüllung gemeint ist. Grundsätzlich geht es bei der Frage nach dem Sinn des Lebens um die eigene Bestimmung, den Zweck des eigenen Daseins in dieser Welt. Damit eng verbunden ist die Überlegung, wie wir leben sollen oder wollen, um diesen Daseinszweck zu erfüllen. Jeder fragt sich sicher irgendwann einmal, ob der gewählte Lebensweg sinnvoll ist und den eigenen Wertvorstellungen entspricht. Sinnsuche ist zuhöchst menschlich.
Es kommt bei jedem der Punkt, da man sich fragt: wo stehe ich?
Bei einer solchen Standortanalyse kommt man nicht umhin, den beruflichen Werdegang zu betrachten und die aktuelle Tätigkeit zu hinterfragen: Macht mir meine Arbeit Spass? Sehe ich darin einen Sinn? Will ich das für den Rest meines Lebens weitermachen? Wir verbringen sehr viel Zeit auf der Arbeit – manche von uns mehr als mit der Familie oder mit Freunden.
Unsere Arbeit ist prägend für unsere Identität. Sie bietet Anregung, Stabilität und Identität. Sie ist entscheidend für unsere Gesundheit und unser Selbstbild. Die Frage, ob die einstmals gewählte Arbeit immer noch Spass macht und als sinnstiftend erlebt wird, ist normal und auch wichtig. Sie kann Freiraum für Veränderungen schaffen ‒ und sei es nur dadurch, dass man seine aktuelle Einstellung überdenkt und die Perspektive wechselt.
Die Suche nach dem Lebenssinn setzt entwicklungspsychologisch schon früh ein
Bereits kleine Kinder fragen nach dem Sinn unseres Lebens, unseres Tuns oder von Erlebnissen. Ganz massiv treten diese Gedanken in der Pubertät auf, denn nun lösen sich Kinder von den Lebensentwürfen ihrer Eltern und entwickeln eigene Vorstellungen und Ideen. Diese Entwicklungsphase fällt zusammen mit der ersten beruflichen Orientierung. Egal, ob man sich dabei für eine Lehrstelle entscheidet oder weiter die Schule besuchen möchte, jedem stellt sich spätestens in der Pubertät die Frage, welche Tätigkeiten als sinnvoll erachtet werden und wie sie zur eigenen Identität passen.
Die berufliche Sinnsuche im Laufe der Zeit
Die Frage, ob wir leben, um zu arbeiten, oder arbeiten, um zu leben, und worin der Sinn der eigenen Arbeit liegt, hat sich in den letzten 70 Jahren grundlegend verändert. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben die beruflichen und gesellschaftlichen Wahlmöglichkeiten für jeden Einzelnen zugenommen. Parallel stieg dazu stieg jedoch auch die Erwartungshaltung, etwas aus dem eigenen Leben machen zu müssen.
War in den 1950er Jahren noch das Bedürfnis nach Sicherheit ausschlaggebend, strebte man ab Ende 1960 nach Selbstverwirklichung. Eine weitere Abkehr von dem bisher eher angepassten Leben mit sicherem Auskommen hin zu alternativen Lebensentwürfen folgte in den 1970er Jahren. Heute scheint es die unausgesprochene Zielsetzung zu sein, einen Beruf auszuüben, der sinnerfüllend ist und gleichzeitig materiell absichert.
Sinnsuche im Supermarkt der Möglichkeiten
Trotz oder wegen der zahlreichen Wahlmöglichkeiten fühlen sich viele orientierungslos und damit überfordert, dieses hohe Ziel zu erreichen. Unsere Lebenswirklichkeit ist geprägt von einer sich rasant verändernden Wirtschaft, komplexen gesellschaftlichen Verflechtungen und einer voranschreitenden Digitalisierung.
Zudem herrscht im Privatleben ein hoher Erwartungsdruck. Auch hier ist das Kriterium für ein gelingendes Leben oft wirtschaftlicher und sozialer Erfolg. Möglicherweise könnte uns eine Reflexion sowohl über die eigenen Bedürfnisse als auch über fremdbestimmte Wünsche und Ansprüche näher zu einer Antwort führen als das Grübeln über die Sinnfrage selbst.
Sinnstiftung wichtiger als reiner Broterwerb
Für die antiken Philosophen bestand der Lebenssinn hauptsächlich in der Erlangung der Glückseligkeit durch eine gelungene Lebensführung. Ein wichtiger Faktor hierfür ist die Arbeit, die für den Einzelnen mehr bedeutet als Broterwerb. Eine Tätigkeit, die Sinn stiftet und Freude macht, lässt sich überall finden, ob in sozialen Berufen, im Strassenbau, am Fliessband oder beim Friseur.
Kohärenz, Zielorientierung, Bedeutsamkeit und Zugehörigkeit
Die Innsbrucker Wissenschaftler Prof. Dr. Tatjana Schnell, Dr. Thomas Höge und Mag. Edith Pollet haben in ihrer Studie über sinnstiftende Arbeit vier Kernaspekte herausgearbeitet, aus denen Sinnerfüllung entstehen kann: Kohärenz, Zielorientierung, Bedeutsamkeit und Zugehörigkeit.
- Kohärenz: ein positives Gefühl der Übereinstimmung zwischen dem Selbstgefühl und der Rolle, die man durch die Tätigkeit übernimmt. Im Idealfall passt die Arbeit zur eigenen Persönlichkeit, den eigenen Haltungen und Zielen.
- Zielorientierung: Wird sie positiv erfüllt, führt dies zu Engagement am Arbeitsplatz. Sie ist von der Unternehmenskultur abhängig, sprich von den Werten der Organisation, die durch das Management vorgelebt und vermittelt werden. Liegt hier eine Diskrepanz vor, ist das Sinnempfinden gestört.
- Bedeutsamkeit: Dies bezieht sich auf die Konsequenzen der eigenen Arbeitshandlungen. Werden sie als bedeutsam erlebt, geht dies einher mit Gefühlen von Autonomie und Kompetenz und mündet in ein positives Sinnerleben im Beruf.
- Zugehörigkeit: Wenn eine Firma dazu beiträgt, dass man sich als Teil einer kollegialen Gemeinschaft fühlt, entwickelt sich daraus ein Gefühl der Verbundenheit und Zugehörigkeit. Hieraus erwächst eine stärkere Verbundenheit mit der Organisation, was die Wahrnehmung der eigenen Arbeit als sinnstiftend stärkt.
Diese vier Leitlinien tragen dazu bei, dass sowohl das eigene Leben als auch der gewählte Beruf als sinnvoll wahrgenommen werden. Sie weisen aber auch darauf hin, welche wichtige Rolle der Arbeitgeber einnimmt. Studien zeigen, dass Unternehmen, die eine sozialmoralische Atmosphäre pflegen (z.B. Fehlertoleranz, gelebte Wertschätzung, emotionale Unterstützung), mit sinnerfüllten MitarbeiterInnen und steigendem Arbeitsengagement belohnt werden.
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Toll geschrieben Silke. Könntest Du mir allfällig noch weitere Quellenhinweise zukommen lassen, aus denen dieser Text entstanden ist? Dies deshalb, weil ich genau heute eine Lektionsplanung für den Kompetenznachweis des SVEB-Kurses (Zertifikat für Sprachkurse an Erwachsene) vorbereite und dabei das Thema berufliche Veränderung bringen werde. Da würde Dein Text als Theorieteil super reinpassen, Dich/Deinen Homepage/Blogg natürlich als Hauptquelle aufgelistet. Wärst Du damit einverstanden?
Liebe Grüsse Karin
..wieder einmal ein sehr spannender, interessanter Beitrag 🙂 regt zum Nachdenken und Hinterfragen an !!!
Vielen Dank Stefan. Ich freue mich sehr, dass er Dir gefällt.
Liebe Karin
Danke für Dein Feedback. Ich freue mich, das Dir der Artikel gefällt. Hier kommt die Literaturliste:
de Jonge, J., Dormann, C. (2006). Job demands, job resources and psychological well-being: A longitudinal test of the triple match principle. Journal of Applied Psychology, 91, 1359−1374
Metzger, J. (2009): Warum Oscar-Preisträger länger leben. Psychologie heute, 7, S. 6
Niklas, C., Dormann, C. (2005). The impact of state affect on job satisfaction. European Journal of Work and Organizational Psychology, 14, 367−388
Nink, M. (2014). Engagement Index. Die neuesten Daten und Erkenntnisse aus 13 Jahren Gallup-Studie. Redline Verlag, München
Siegrist, J. (2013). Berufliche Gratifikationskrisen und depressive Störungen. Nervenarzt, 1, S. 33–37
Wilke, A. (2016). Die 10 häufigsten Fehler, wie Chefs ihre besten Mitarbeiter vergraulen. impulse.de