Bloss nicht entmutigen lassen!
Dass die Motivation schwankt und auch mal gegen Null geht, ist absolut normal. Auslöser hierfür müssen jedoch weder komplexe Aufgabenstellungen sein noch Druck- oder Stresssituationen, die in alte Gewohnheiten zurückführen. Manchmal sind die Gründe für ein Motivationstief äusserst subtil. Also: Bloss nicht entmutigen lassen!
Die ganze Zeit sind Sie auf Kurs. Um Torten machen Sie schwungvolle Bögen („Sexy Körper – ich komme!“). Bei Team-Meetings beobachten Sie mit grossen Kinderaugen interessiert, wie facettenreich wir Menschen sind („Ich bin die Gelassenheit selbst“). Und am Abend hören Sie zur Entspannung eine halbe Stunde Musik nur für sich („Ich gönne mir Freiraum“). Doch dann kommt sie, die schwierige Situation. Manchmal wissen Sie von ihrem Kommen und können sich (halbwegs) vorbereiten. Manchmal erwischt es Sie aber auch kalt. Und manchmal kommt eine Entmutigung derart gut getarnt daher, dass Sie nur noch staunen können.
Arial oder Times New Roman? Das ist ganz und gar nicht egal
Die Wissenschaftler Hyunjin Song und Norbert Schwarz von der University of Michigan (Ann Arbor) fanden heraus, dass unsere Motivation von Umständen beeinflusst und reduziert werden kann, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang erkennen lassen. In ihrem Experiment baten sie Studierende, die Anleitung zu einem Trainingsablauf im Fitnessstudio durchzulesen. Die eine Hälfte der Teilnehmer bekam den Text in der leicht lesbaren Schrift Arial. Die andere Gruppe erhielt den Text in der sehr verschnörkelten und eher schwer entzifferbaren Schrift Brush. Die Buchstabengrösse war in beiden Fällen die gleiche, ebenso die Schriftfarbe.
Zwar konnten beide Gruppen den Text verstehen und sich diesen auch einprägen, aber die Brush-Leser kamen zum Ergebnis, dass das Training aller Wahrscheinlichkeit nach sehr anstrengend sei und sie es daher vermutlich nicht antreten würden. Die Arial-Gruppe hielt den Ablauf hingegen für einfach und konnte sich gut vorstellen, das Trainingsprogramm regelmässig durchzuführen.
Schwarzwälder Kirschtorte in Tahoma backt sich leichter
Wie schnell man allein aufgrund der Lesbarkeit einer Schrift trügerische Rückschlüsse über den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe ziehen kann, zeigt ein weiteres Experiment des Forscher-Duos. Probanden, die Rezepte in einer schwer lesbaren Schrift lesen mussten, meinten, sie würden das Gericht eher nicht kochen, da es zu schwierig sei und zu viel Zeit in Anspruch nehme. Die Vergleichsgruppe sah das anders: Selbst Ahnungslose trauten sich schwierige Gerichte zu.
Was tun beim nächsten Motivationstief?
Wir sollten uns bewusst sein, dass unsere Motivation stark anfällig ist. Nicht nur alte Automatismen können stören, sondern auch nebensächliche Einflüsse, die überhaupt nichts mit der eigentlichen Aufgabe zu tun haben. Wenn ein äusserer Reiz derart stark auf unser Unbewusstes wirken kann, dass er unsere Reaktionen beeinflusst, lässt dies erahnen, wie mächtig manche Nebensächlichkeiten sein können.
Der psychologische Fachbegriff für diese unbewusste Bahnung ist Priming. Man kann hier auch von einer Art der Manipulation sprechen, die in der Werbung sehr stark eingesetzt wird, um bei Verbrauchern Bedürfnisse zu wecken. Die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Kaufreaktion wird durch gezieltes Priming erhöht – jedoch nur, wenn ein entsprechendes Bedürfnis oder Motiv vorliegt. Sitze ich im Kino und habe keine Lust auf ein Eis, können weder Vanilleduft noch ein Sommerlied oder der Eiscreme-Spot am Ende des Werbeblocks mich dazu anregen, ein Eis zu kaufen.
Selber primen oder geprimed werden – das ist hier die Frage
In der Sozialpsychologie liegt mittlerweile eine Fülle von Experimenten vor, die zeigen, wie Priming neuronale Netze gezielt aktivieren kann und wie sich − ausgelöst durch diese Aktivierung − ganze Verhaltenssequenzen im Sinne des Primings beeinflussen lassen. Aus der Gehirnforschung wissen wir: Das menschliche Gehirn kann seine Struktur verändern, und zwar bis ins hohe Alter! Man nennt diese Tatsache neuronale Plastizität. Die häufige Benutzung von Nervenverbindungen stärkt deren Effektivität.
Das Zürcher Ressourcen-Modell (ZRM®) macht sich das Wissen um die Formbarkeit unseres Gehirns zunutze. Auf Basis neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zum menschlichen Lernen und Handeln wurde an der Universität Zürich eine alltagstaugliche Methode entwickelt, mit deren Hilfe jeder erlernen kann, seine Wünsche und unbewussten Bedürfnisse zu erkennen und motiviert umzusetzen. Priming ist dabei eines der vielen auf seine Wirksamkeit wissenschaftlich untersuchten und erprobten Instrumente.
Kurzweilige Videos zum Thema Priming:
Foto: Ryan McGuire
Liebe Silke,
herzlichen Dank für diesen sehr aufschlussreichen Artikel; Es ist eine geniale Idee, die Erkenntnisse zum Thema „Primes“ – die mir im Zusammenhang mit ZRM durchaus vertraut sind – in ihrer subtilen Alltagswirkung aufzuzeigen; ausgesprochen bereichernd und anregend, meine Umwelt auf Motivation blockierende Elemente hin zu „untersuchen“ – das mit dem aktiven positiven Primen gelingt mir schon!
Sommergrüße aus Luxemburg
Liebe Christel
Vielen Dank für das Feedback. Als ich durch einen Zufall auf diese Studie gestossen bin, war ich ziemlich verblüfft, wie so etwas „einfaches“ wie der ausgewählte Schrifttyp uns beeinflussen kann. Das wollte ich unbedingt mit anderen teilen.
Was das Primen betrifft: man kann gar nicht genug Primes – ob mobil oder stationär – verwenden. Das Schöne ist ja, dass sie immer und ewig wirken, auch wenn man sie meistens gar nicht mehr wahrnimmt. Die nächste Stufe kann dann sein negative Primes zu entfernen – da kann man ganz einfach die Affektbilanz anwenden: wenn irgendwas auf der Negativskala über Null ist, dann lieber darüber nachdenken, ob’s in eine Umzugskiste soll. Herzliche Grüne, Silke
Liebe Frau Weinig,
das ist ein spannender Artikel – vielen Dank.
Die Studien zur Auswirkung des Fonts einer Anleitung kannte ich noch nicht – interessant.
„Selber primen oder geprimed werden – das ist hier die Frage“, heißt eine Ihrer Überschriften. Ich denke, wir werden ständig „fremd-geprimed“. Jedes Lächeln oder Stirnrunzeln, ein Tonfall, ein Blick, Farben unserer Umgebung, das Wetter, die Nachrichten … primen uns auf irgendeine Weise. In der Summe können wir dem Fremdpriming nicht entgehen. Wichtig finde ich, dass wir uns dem entziehen, was uns definitiv nicht gut tut. Zum Beispiel dem Klatsch der Kollegin in der Kantine oder auch den wiederholten Negativmeldungen in den Medien.
Und wie Sie anreißen, können wir uns selbstbestimmt primen – durch ein motivierendes Bild, ein paar Minuten in der Natur, eine Lieblingsmelodie etc.
Liebe Frau Weinig, Ihren Artikel habe ich in meinem aktuellen Blogpost „Wie Du Priming für Dein selbstbestimmtes Leben nutzt“ verlinkt, weil sich beide Artikel ergänzen. Das ist hoffentlich okay für Sie.
http://alcudina.de/2016/08/26/wie-du-priming-fuer-dein-selbstbestimmtes-leben-nutzt-selbstfuehrung-konkret/.
Herzliche Grüße aus Berlin
Christine Radomsky
Liebe Frau Radomsky, vielen Dank für Ihre Nachricht und den Link zu Ihrem sehr spannenden und interessanten Beitrag zum Thema Priming, den ich mir eben durchgelesen habe. Danke auch für die Verlinkung – ich finde das Thema Priming sehr spannend und freue mich immer auch Beitrage von Kolleginnen & Kollegen zu lesen. Die Studien und ihre Resultate sind immer verblüffend und meistens kann ich mir an die eigene Nase greifen! Herzliche Grüsse, Silke Weinig