Wie ausgelutscht ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit ist in aller Munde! Der fernöstliche Trend zur Besinnung auf sich selbst und das Leben im Hier und Jetzt boomt. Meditationskurse, Zeitschriften, Internetstreams oder Apps mit Achtsamkeitsübungen sollen unsere gestressten Gemüter wieder ins Gleichgewicht bringen oder einem Ausbrennen vorbeugen. Nur: ist das wirklich der Sinn von Achtsamkeit? Sich zu entspannen, um nach der Übung noch besser zu funktionieren?
Ist Achtsamkeit mittlerweile Teil der Leistungsgesellschaft?
Ich bin zögerlich beim Antworten. Tendiere zu einem „eigentlich nicht“ oder „jein, aber“. Ich weiss aus eigener Praxis, wie wohltuend es ist, sich in Achtsamkeit zu üben. Ich nehme aber auch wahr, wie die Achtsamkeit kommerzialisiert und streckenweise ihrer Grundidee beraubt wird.
Die Wurzeln
Was wir mit Achtsamkeit übersetzen, heisst in Sanskrit samyaksmṛti und ist Teil des Edlen Achtfachen Pfads. Dieser Weg soll zum einen das Leiden (dukkha) beenden und zum anderen unser Leben in Einklang mit der Wirklichkeit führen. Achtsamkeit wird dabei nicht als isolierte geistige Übung verstanden, sondern als ein Bestandteil unsers alltäglichen Lebens.
Achtsamkeit heute in der westlichen Welt
Als Urvater der Achtsamkeitsmeditation kann man sicherlich den US-Amerikaner John Kabat-Zinn bezeichnen. Mit seinem MBSR-Verfahren (Mindfulness-Based Stress Reduction) entwickelte er in den 1970er Jahren erfolgreich ein achtwöchiges Gruppenprogramm, das eingesetzt wird, um durch achtsamkeitsbasierte Psychotherapieverfahren spezifische Störungsbilder wie Stress zu reduzieren.
Lange Zeit als leicht esoterisch belächelt, trat die Achtsamkeit in den 1990er Jahren einen unvergleichlichen Siegeszug an. Heute wird sie nicht nur in Schulen (MindUp) praktiziert, sondern auch bei Unternehmen wie Google (Search Inside Yourself) oder Siemens.
Kabat-Zinns Grundidee
Ein Mix aus Elementen der Vipassana-Meditation, aus Hatha-Yoga und Bewusstseinsübungen hat zum Ziel, die Achtsamkeit so auf den gegenwärtigen Moment auszurichten, dass unsere Konzentration und unser Bewusstsein koexistent sind. Gemäss Kabat-Zinn bezeichnet der Begriff Achtsamkeit das Gewahrsein, das entsteht, wenn die Aufmerksamkeit absichtsvoll und nicht-wertend in den gegenwärtigen Moment gebracht wird und diese Erfahrung sich von Augenblick zu Augenblick entfaltet.
Es geht nicht um Schönfärberei oder Steigerung des Glücksgefühls
Manche Menschen beginnen mit dem Meditieren und glauben, dass sie glückselig werden oder ihr Geist ruhiger wird. Die Erwartungen sind hoch. Nicht verwunderlich also, dass sie überrascht sind, wenn sie feststellen, dass es so gar nicht läuft. Es geht nicht darum, Probleme wegzublenden oder ein Mehr an positiven Gefühlen zu generieren, sondern mit beiden Beinen und ohne Illusionen in der Realität zu stehen.
Man stellt sich der Realität und erhält mehr Freiheit
Die Praxis der Achtsamkeit kann erfolgreich zu mehr Selbstregulation in Stresssituationen führen. Dies bedarf aber einer besonderen (Neu-)Wahrnehmung der Realität, bei der man alles, was im Moment ist, ohne Bewertung zulässt und so an Objektivität gewinnt. Indem Gefühle, Gedanken und Emotionen wie von aussen wertfrei betrachtet werden, können sie sich angst- und barrierefrei vertiefen, statt durch Verdrängung zu verflachen. Dem Praktizierenden stehen somit mehr Informationen zur Verfügung, wodurch er beispielsweise Stressautomatismen unterbrechen kann und mehr Freiheit im eigenen Verhalten erfährt.
Schon von McMindfulness gehört?
Wer sich langjährig mit Achtsamkeit beschäftigt, weiss, dass ihre Wirkung über Entspannung und Konzentration hinausgeht. Wir werden mit der Zeit mitfühlender mit uns selbst und anderen, was Freundlichkeit, Grosszügigkeit, Mitgefühl, Toleranz, Offenheit und Mut einschliesst. Wir lernen, aus „Grübelspiralen“ leichter auszusteigen, und sind kraftvoller und bewusster in dem, was wir tun.
So etwas geht nicht auf die Schnelle, weswegen Drei-Minuten-Achtsamkeitsübungen für den gestressten Manager absurd sind. Meiner Meinung nach sind sie sogar menschenfeindlich, denn sie zielen einzig darauf ab, noch effizienter zu funktionieren. Spötter sprechen daher auch von McMindfulness, wenn in kurzen und mundgerechten Einheiten Achtsamkeit verabreicht wird, um im schneller werdenden Leistungstakt Schritt halten zu können.
Achtsamkeit ist kein Allheilmittel
Der Sinn von Achtsamkeit ist das wertfreie Gewahrwerden der Realität. Sie ist kein Allheilmittel, durch das sich Probleme von alleine lösen lassen. Eine krampfhafte Suche nach mehr Ausgeglichenheit und Entschleunigung kann zu neuem Stress führen, wenn beispielsweise die eigene Optimierung nicht so klappt, wie man es sich wünscht, und man nicht nach zehn Minuten Meditation über einen komplett frischen Geist verfügt.
Geduld lohnt sich
Allen Unkenrufen und Zweifeln zum Trotz bin ich überzeugt von der positiven Wirkung der Achtsamkeit auf unseren Geist und Körper.
Zum einen ist es das, was ich selbst erlebe, wenn ich mich in Achtsamkeit übe. Zum anderen wurden in den letzten Jahren viele wissenschaftliche Studien und Experimente veröffentlicht, die nachweisen, dass Achtsamkeitsmeditation mit einer Vielzahl von positiven Effekten verbunden ist. Menschen, die Achtsamkeit praktizieren, entwickeln demzufolge ein höheres Wohlbefinden und eine grössere Belastbarkeit, zeigen mehr Feinfühligkeit und Toleranz im Umgang mit anderen Menschen und verbessern deutlich ihre Konzentrationsfähigkeit und Handlungssteuerung.
Zudem wurde die positive Wirksamkeit achtsamkeitsbasierter Programme bei der Behandlung verschiedener Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und chronischem Schmerz in verschiedenen Studien untersucht und bestätigt.
Was ich selbst ebenfalls merke, ist, dass es Zeit, Geduld und auch Demut braucht. Einmal- oder Hauruck-Aktionen sind nicht nachhaltig, und an manchen Tagen fällt das Meditieren schwer, weil ich müde oder lustlos bin. An anderen dagegen klappt es super, und ich beende die Übung tatsächlich mit einem frischen Geist. Da heisst es sich in Bescheidenheit üben, denn die nächste Praxis kann schon wieder ganz anders ausfallen.
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